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an Wahrscheinlichkeit gewinnen, wenn wenigstens eine Zwischenstufe nach
weisbar wäre, geeignet, von jener tierischen Zügellosigkeit zu der strengen
Zucht der Ehe hinüberzuleiten. Eine solche Zwischenstufe wollen manche
in der „G r u pp e.n eh e" gefunden haben. Sämtliche Männer einer
Gruppe („Totem") sollen mit sämtlichen Weibern einer anderen Gruppe
verheiratet gewesen sein?) Man schließt dies, wunderlich genug, aus
gewissen, bei Indianern und Australiern üblichen Verwandtschaftsbezeich
nungen, die nach Morgan nur als Überreste aus einer Zeit der Gruppen
ehe sich erklären lassen?) Tatsächlich ist bei keinem Volke der Erde
die Gruppenehe als eine auch nur einigermaßen verbreitete Übung anzu
treffen, von der vollen Promiskuität gar nicht zu reden?) Anderseits
fehlt es selbst unter den tiefststehenden wilden Völkern nicht an Bei
spielen einer streng monogamischen Ehe?) Es ist gerade die steigende
Kultur, die mit der Ungleichheit des Besitzes die Neigung zur Viel
weiberei hervorruft. Die viel seltenere Vielmännerei^) ist aller
dings eher eine Frucht der Armut: wo die Frauen wenig zahlreich
sind und hoch im Preise stehen, da müssen mehrere Männer — gewöhn
lich Brüder — mit einer einzigen Frau vorlieb nehmen. Auch bas kommt
vor, daß mehrere Männer mehrere Weiber miteinander gemein haben.
Aber nichts berechtigt uns, hier die Weiber zu einer Gruppe zusammen
zufassen, die mit der Gruppe der Männer verheiratet wäre. Vielmehr
tritt das Weib in die Gemeinschaft — die Großfamilie — ein, indem
sie eines der Familienmitglieder heiratet?) Derartige Verhältnisse müssen
nicht — zum mindesten nicht überall — die Vorstufe der Einzelehe ge
bildet haben; die Entwicklung kann ebensogut den entgegengesetzten Weg
eingcschlagen haben. Schon Darwin^) hat gegen die Promiskuitätslehrc ein
gewendet, daß bei den verschiedenen Affenarten entweder Einehe oder Viel
weiberei, aber keine Promiskuität vorkommt. Der Hinweis dieses Forschers
eisut 8oeiet^) 1877, deutsche Über
setzung 2, Ausl, 1908,
*) Bgl, z, B, Köhler in seiner Enzy
klopädie 2, Aufl, I S, 26f,
°) Das klassifizierende Verwandt
schaftssystem, Morgan, 8Mem8 ok
eoosanAllinit^ anä akkinit^ 1871.
Köhler, Zur Urgeschichte der Ehe
(Totemismus, Gruppenehe, Mutter
recht) in der Zeitschr, für vgl, Rechts-
wissensch, Bd, 12 (1897) S, 187ff,
°) Westermarck, Geschichte der
menschlichen Ehe, deutsche Ausgabe
1893, Dazu Leitner, Kath, Eherecht
S, 88ff,, G, E, Howard, bistor^ ot
matrimonial iustitutions (8 Bde 1904)
Bd,1 S, 107 ff,
') Die Weddas auf Ceylon leben in
unlösbarer Einzelehe, Sie sagen, daß
der Tod allein Mann und Frau trennen
kann. Vgl, Westermarck a, a, O. S,65,
Ders,, Moralbegriffe II S, 316,
Köhler, Zur Urgeschichte S, 196ff.,
E, Grosse, Formen der Familie S, 43f,
ch Westermarck, Geschichte S, 467 ff,,
Howard S,132ff,, R, Schmidt, Liebe
und Ehe in Indien (1904) S, 382ff,,
Schnapper - Arndt, Sozialstatistik
(1908) S, 459 ff,
°) Bgl, Caesar, Do bello Uallieo 6,
14, Auch bei den vielerörterten „Grup-
peuehen" der Australier ist jede Frau
zunächst die Gattin eines Mannes,
mit den anderen verkehrt sie mit seiner
Erlaubnis oder in seiner Abwesenheit,
Westermarck, Moralbegriffe II S, 320,
In diesen Zusammenhang gehört auch
das russische eooebLöestvo, d,h, der
Verkehr des Hausvaters mit den im
Hause lebenden Schwiegertöchtern,
O, Schräder, Die Jndogermanen
S, 93,
°") Abstammung des Menschen T, II,
Kap, 20,