Full text: Familien- und Erbrecht (Bd. 2, 2. Hälfte)

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469. 
» 
Zweiter Abschnitt. 
Führung der Vormundschaft. 
H 469. 
1. Aufgaben des VormundschaftsgerichtesB) 
I. Der „Grundsatz der Selbständigkeit des Vormundes"2) ist dem 
österreichischen Rechte fremd. Das Vormundschaftsgericht muß nicht nur 
die Gesetzmäßigkeit, sondern auch die Ersprießlichkeit der vom Vormunde 
getroffenen oder in Aussicht genommenen Maßregeln prüfen. Zweck 
mäßigkeitserwägungen genügen vollauf, um bindende Weisungen des 
Vormundschaftsgerichtes auch hinsichtlich solcher Geschäfte zu rechtfertigen, 
die nicht schon zu ihrer Gültigkeit der Einwilligung des Gerichtes bedürfen. 
Das Vormundschaftsgericht schreitet nur im Interesse des 
Mündels einb), Dritte können also nicht verlangen, daß das Gericht 
einen mit ihnen geschlossenen Vertrag genehmige oder für dessen Er 
füllung sorget) Sie können das höchstens in unverbindlicher Weise 
anregen, wenn es zugleich im Interesse des Mündels liegt. Anderseits 
kann auch das Vormundschaftsgericht Ansprüche des Mündels, die auf 
den ordentlichen Rechtsweg gehören, nicht mit den ihm zu Gebote stehenden 
Zwangsmitteln durchsetzen, insbesondere auch nicht Forderungen des 
Mündels gegen den Vormund. 
II. Die Aufgaben des Vormuudschaftsgerichtes beziehen sich 
1. auf die Person des Mündels. Diese Seite der vormundschafts 
gerichtlichen Tätigkeit hat erst in neuerer Zeit jene Beachtung gefunden, 
die ihr im Hinblick auf ihre große Bedeutung für die Interessen des 
Staates und der Gesellschaft zukommt; handelt es sich doch darum, der 
Verwahrlosung der Jugend mit ihren traurigen Folgeerscheinungen ent 
gegenzutreten. Noch im Jahre 1893 mußte ein Ministerialerlaß daran 
erinnern, daß sich die Fürsorge für die Minderjährigen nicht auf ihre 
vermögensrechtlichen Interessen beschränke. Früher kam es oft vor, daß 
für vermögenslose Mündel überhaupt kein Vormund bestellt wurde. Gegen 
wärtig überwachen die Gerichte mit Hilfe der Vormünder, der Vor- 
1) Oben § 464, v. Anders, Grund 
riß des Familienrechtes 8 73, Rintelen, 
Grundriß des Verfahrens außer Streit 
sachen 88 48ff. 
2 ) Schlecht, Das Prinzip der Selb 
ständigkeit des Vormundes nach dem 
BGB. des Deutschen Reiches in Grün 
huts Zeitschr. Bd. 28 S. 749ff.; vgl. 
dagegen Dernburg, B. R. IV § 121. 
Über den Standpunkt des schweizerischen 
Rechtes vgl. H. Hefti, Die'vormund 
schaftliche Amtsführung 1916. 
b) Kipp, Lehrbuch 8 120 I 2. Entsch. 
Slg. XVI Nr. 6698 u. a. 
°°) Entsch. v. 20. Jan. 1920 SZ. II 
Nr. 5; vgl. auch oben 8 313 bei Note 46f. 
und Entsch. OG. Brünn v. 8. Jan. 
1920 AS. 862. 
«) JME. v. 10. Nov. 1893 VBl. 
Nr. 31.
	        
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