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wäre damit doch noch nicht dem Geschlechtsverkehre vorgebeugt, um
den es sich bei alledem eigentlich handelt.
Unabweisbar ist jedoch die Forderung, daß ein Ehegatte nicht in einer
irrtümlich eingegangenen Ehe festgehalten werde, die er in Kenntnis
der Krankheit und ihrer Folgen niemals abgeschlossen hätte. Das allzu eng
abgesteckte Hindernis des Irrtums bedarf daher der Erweiterung Nach
dem schweizerischen Gesetzbuche (Art. 125) ist eine Ehe anfechtbar, wenn
dem Gatten eine Krankheit verheimlicht worden ist, die seine eigene
Gesundheit oder die der Nachkommen in hohem Maße gefährdet?) Noch
weiter geht das deutsche BGB. (8 1333 )?o) Nach dem geltenden oster-.
rcichischen Rechte wäre Abhilfe möglich, wenn eine freie, den heutigen
Anschauungen Rechnung tragende Auslegung sich entschlösse, denjenigen,
dem der Arzt um seiner Krankheit willen den regelmäßigen geschlecht
lichen Verkehr verbieten muß, als unvermögend zur Leistung der eyelichen
Pflicht (Z 60) zu behandeln.")
Die ärztliche Untersuchung kann, auch wenn ehewidrige Krankheiten
nicht gesetzlich als Ehehindernisse erklärt werden, zur Verhütung unheil
vollen Irrtums dienen. In diesem Sinne ist sie von vielen Seiten,
insbesondere auch in den Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für
Rassenhygiene (1917) empfohlen worden: jeder Verlobte soll vor der
Trauung ärztlich untersucht und das Ergebnis dem andern Teile bekannt
gemacht werden??) Auch der Innsbrucker Landtag hat die Einführung
der obligatorischen ärztlichen Untersuchung verlangt. Sie würde schwerlich
allgemeinen Beifall finden. Die in Wien und in Graz seit kurzem
bestehenden Eheberatungsstellen untersuchen die Ehewerber nur auf
Verlangen und stellen ihnen ärztliche Zeugnisse nur aus, wenn sie es
wünschen. Diese Einrichtung hat sich, soweit dies sich zur Zeit schon
erkennen läßt, gut bewährt.
H 425.
2. Persönliche Fähigkeit.')
I. Wer zur Zeit der Eheschließung in erheblichem Maße geisteskrank
oder geistesschwach oder sinnesverwirrt ist (Z 48) und wer zu dieser
Zeit voll entmündigt ist (§ 3 EntmO.), kann nicht heiraten.
°) Forrer, Rassenhygiene und Ehe
gesetzgebung im Schweiz. ZGB. 1914.
Reubecker im ArchBürgR. 81
275. Vgl. Entsch. RG. 103 S. 322 (betr.
Syphilis).
") Vgl. auch Entsch. Slg. XI Nr. 4253;
v. Hofmann-Haberda, Gerichtliche
Medizin, 10. Ausl. S. 76.
") Denkschr. der Berliner Gesellsch.
für Rassenhygiene 1917, Abel, Zur
Frage des Austausches von Gesundheits
zeugnissen, Off. Gesundheitspflege 1920
S.146,Hirsch,Ärztl.Heiratszeugnis 1921.
A. Elster, Sozialbiologie (1923) S. 268.
') Rittner, Eherecht §8 8—10,
Singer Nr. 78, 81, I. Schwartz in
der GH. 1891 Nr. 29, 30, v. Anders,
FamR. 88 6, 6, Scherer S. 172f.,
265ff., Leitner 8 18, Häring 88 132,
146, Krasnopolski 8 5, R. Köstler,
Die väterliche Ehebewilligung 1908
(Geschichtliches), A. Ho che, Geistes
krankheit und Ehe in v. Noordens
und KaminersHandb. (1916) S.798ff.