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Karl Sclialk.
Als im 19. Jahrhundert Wien wieder eine neue eigenartige
Kunstblüte von ungleich größerer Bedeutung erlebte, in der
Biedermeierzeit und im Vormärz (Grillparzer — Schubert —
Schwind), erfreute sich Österreich des tiefsten Friedens, während
das Kunstleben Wiens um die Wende des 15. Jahrhunderts sich
vom Hintergründe blutigen Zeitenernstes abhob. In Wiens Um¬
gebung entstanden damals die schönen gothischen Kirchen
zu Mödling und in Perchtoldsdorf. Zum Marktturm in
Perchtoldsdorf, einem Bergfried (beffroi) ward zu eben dieser
Zeit der Grund gelegt. Die Spitalskirche1) in Mödling wurde 1458
vollendet, der Bau der heutigen Othmarskirche begann 1454.
Über die Nürnberger Plastik — Nürnberg war im 16. Jahr¬
hundert vielfach vorbildlich für Wien -— im 15. Jahrhundert,
namentlich Hans Decker, von dem wir Werke aus den Jahren
1442 und 1446 kennen, siehe Daun, Adam Krafft und die Künstler
seiner Zeit, S. 9 ff.
I) In einer Urkunde vom 25. Mai 1434 ist die Rede von einem «hospitale,
quod in Medlico- erigitur», QuGStW. I/7, 22, Nr. 14660.
Vergleichende Betrachtung.
Im mittelalterlichen republikanischen Florenz1) gehörten dauernd zum Patri¬
ziate folgende sieben Organisationen. «Arti» (Zünfte)-: 1. Richter und Notare,
2. Calimala, Tuchhändler und Appreteure ausländischer Produkte (der Name Cali-
mala: verrufener Winkel, weil das Zunfthaus in der Nähe der Bordelle lag,
3. Wechsler, 4. Wollwarenerzeuger, 5. Seidenwaren- und Feintucherzeuger (auch
di Por S. Maria genannt, weil ihr Zunfthaus beim Marientore lag), 6. Arzte und
Apotheker, 7. Pelzhändler und Pelzwarenerzeuger. Verglichen mit Wien fehlen
hier unter den patrizischen Organisationen die spezifisch florentinischen 4 und 5.
Dagegen dürfte der ersten florentinischen Zunft in Wien ungefähr die Schreiber¬
zeche entsprechen; der Zunft 3 entsprächen in Wien die Hausgenossen, der Zunft
6 in Wien die „Apotheker. Dann gehörten in Wien zum Patriziate noch die
Großkaufleute und die Laubenherren, die teilweise vielleicht der florentin. Zunft 2
nahestehen. Dagegen gehörten die Kürschner in Wien nicht zum Patriziate. Den
Handwerkervertretern im revolutionären Rate von 1462, an Zahl sechs, gehörten
sogar drei Kürschner an.2) Dieser Umstand beweist wohl die Bedeutung gerade
dieser Zeche für Wien. Damals spielten übrigens auch zwei alte ehemalige Kürsch¬
ner, die aber ihr Geschäft schon zurückgelegt hatten, im Wiener Patriziate eine
Rolle: Stephan Tenk und Hans Haug.
' •) Mitteil. des Inst. f. öst. Gesch., Ergänzungsband 4, 298fr.
z) Jahrbuch des Ver. f. Eandesk., Jubiläumsband.