Full text: Vermischte Schriften ; 3 : politischen, philosophischen und historischen Inhalts ; ueber Frauenemancipation, Plato, Arbeiterfrage, Socialismus / übers. von Siegmund Freud (12)

Ncber Frauenemancipation. 
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und der übrigen Welt — gegen die Aristokratie des Geschlechts 
gehören sollten, welcher Unterschied ebenso zufällig als der der 
Farbe, und genau so gleichgiltig für alle Fragen des Staatslebens ist. 
Nicht nur an die Demokratie Amerika's wendet sich der Ruf 
der Frauen nach bürgerlicher und politischer Gleichheit mit un¬ 
widerstehlicher Gewalt, sondern auch an jene Radicalen und Char¬ 
tisten auf den britischen Inseln und au jene Demokraten des Con- 
tinents, welche das sogenannte allgemeine Stimmrecht als ein an¬ 
geborenes Recht, das ihnen in widerrechtlicher und tyrannischer 
Weise vorÄlthalteu wird, beanspruchen. Denn in welchem ver¬ 
nünftigen Sinn kann man ein Stimmrecht allgemein nennen, von 
dem die Hälfte der menschlichen Gattung ausgeschlossen bleibt? 
Erklären, daß eine Stimme an der Regierung das Recht Aller ! 
ist, und sie nur für einen Theil verlangen — nämlich für den 
Theil, zu dem der Fordernde selbst gehört — das heißt doch, selbst 
auf den Schein eines Princips verzichten. Der Chartist, welcher t 
den Frauen das Stimmrecht abspricht, ist nur darum Chartist, I 
weil er kein ltord ist; er ist einer von jenen Nivellirern, welche- I 
nur bis zu sich selbst herab nivelliren möchten. 
Selbst diejenigen, welche eine Stimme in der Regierung 
nicht als ein persönliches Recht ansehen, und die sich nicht zu 
Grundsätzen bekennen, welche die Ausdehnung des Stimmrechtes 
auf Alle fordern, halten gewöhnlich an althergebrachten Maximen 
der politischen Gerechtigkeit fest, mit denen die Ausschließung aller 
Frauen von den gewöhnlichen Bürgerrechten unvereinbar ist. Es 
ist ein Axiom der englischen Freiheit, daß die Besteuerung und die 
politische Vertretung Hand in Hand gehen sollen. Doch giebt es 
selbst unter der Herrschaft der Gesetze, die das Eigenthum des 
Weibes dem Manne zusprechen, viele unverheirathete Frauen, 
welche Steuern zahlen. Es ist eine der fundamentalen Vorschriften 
der britischen Verfassung, daß alle Personen von ihresgleichen ^ 
gerichtet werden sollen. Doch werden Frauen jedesmal^on männ¬ 
lichen Richtern und einer männlichen Jury gerichtet. Fremden 
gesteht das Gesetz das Vorrecht zu, zu verlangen, daß die Jury! 
zur Hälfte von Fremden gebildet werde; nicht so den Frauen.s - 
Allein sehen wir von solchen speciellen Forderungen ab, die mehr 
auf gewisse Orte oder Nationen beschränkte als allgemeine Ideen 
darstellen. Es ist ein anerkanntes Gebot der Gerechtigkeit, ohne-/ 
Nothwendigkeit keine verletzende Unterscheidung zu machen. In sX 
allen Dingen sollte die Voraussetzung zu Gunsten der Gleichheit' ^ 
sein. Es muß erst ein Grund dafür angegeben werden, warum 
ein Ding Einer Person erlaubt und der anderen untersagt sein soll.
	        
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