Full text: Vermischte Schriften ; 3 : politischen, philosophischen und historischen Inhalts ; ueber Frauenemancipation, Plato, Arbeiterfrage, Socialismus / übers. von Siegmund Freud (12)

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lieber Frauenemancipation. 
Aber wenn die Ausschließung sich säst auf alles erstreckt, was die¬ 
jenigen, die nicht von ihr betroffen sind, am höchsten schätzen und 
dessen Entziehung sie als die größte Beleidigung empfinden, wenn nicht 
nur die politische Freiheit, sondern auch die persönliche Freiheit des 
Handelns das Vorrecht einer Kaste ist, wenn selbst in der Erwerbs- 
thätigkeit fast alle Beschäftigungen, welche die höheren Fähigkeiten 
auf irgend einem wichtigen Gebiete in Anspruch nehmen, welche zu 
Auszeichnung, Reichthum oder auch nur zu materieller Unabhängig¬ 
keit führen, als das ausschließliche Eigenthum der herrschenden Elaste 
allseitig umfriedet gehalten werden, während der abhängigen Elaste 
beinahe keine anderen Thüren offen bleiben als solche, denen Alle, 
welche anderswo eintreten können, verächtlich den Rücken kehren; 
dann sind die armseligen Zweckmäßigkeitsgründe, welche als Ent¬ 
schuldigung für eine so ungeheuerlich parteiische Vertheilung vor- 
gebrachr werden, selbst wenn sie nicht völlig unhaltbar wären, nicht 
im Stande, ihr den Charakter einer schreienden Ungerechtigkeit zu 
nehmen. Indessen sind wir der festen Ueberzeugung, daß die 
Theilung der Menschheit in zwei Kasten, die eine durch die Geburt 
dazu bestimmt die andere zu beherrschen , in diesem Falle wie in 
jedem anderen nichts weniger als zweckdienlich, sondern ganz und 
' gar vom Uebel ist, — eine Quelle der Verderbniß und sittlichen 
i Entartung sowohl für die begünstigte Elaste als für die, auf 
deren Kosten sie bevorzugt ist; Laß sie nichts von dem Guten her¬ 
vorbringt, das man ihr gewöhnlich zuschreibt; und daß sie — so 
lange sie besteht — ein fast unüberwindliches Hinderniß jeder wirk¬ 
lich eingreifenden Verbesserung, sei es in den Charaktereigenschaften, 
sei es in den socialen Zuständen des Menschengeschlechtes, bildet. 
Es ist nun unsere Absicht diese Behauptungen zu erweisen; 
aber ehe wir damit beginnen, möchten wir uns bemühen, die vor¬ 
läufigen Einwendungen zu zerstreuen, welche bei Personen, denen 
dieser Gegenstand neu ist, eine ernstliche und gewissenhafte Prüfung 
desselben zu behindern pflegen. DaS vornehmste dieser Hindernisse 
, ist die ungeheure Macht der Gewohnheit- Die Frauen haben 
niemals gleiche Rechte wie die Männer besessen. Ihre Ansprüche 
auf die gemeinsamen Menschenrechte gelten für beseitigt durch den 
allgemeinen Brauch. Zwar hat dieses stärkste aller Vorurtheile, 
das Vorurtheil gegen das Neue und Unbekannte, in einem Zeit¬ 
alter der Neuerungen wie das unsrige viel von seiner Stärke ver¬ 
loren; wäre dem nicht so. so bliebe wenig Hoffnung, etwas gegen 
dasselbe auszurichten. In drei Viertheilen der bewohnbaren Welt 
macht die Antwort: es ist immer so gewesen, noch heute jeder 
Erörterung ein Ende. Aber es ist der Stolz der modernen
	        
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