Full text: Vermischte Schriften ; 3 : politischen, philosophischen und historischen Inhalts ; ueber Frauenemancipation, Plato, Arbeiterfrage, Socialismus / übers. von Siegmund Freud (12)

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lieber Frauenemaneipation. 
erörtern, würde all den Raum in Anspruch nehmen, den wir für den 
ganzen Gegenstand zur Verfügung haben*). Aber wenn diejenigen, 
welche versichern, daß der angemessene Wirkungskreis der Frauen 
die Häuslichkeit sei, damit sagen wollen, daß sie keine Fähigkeiten für 
irgend einen anderen gezeigt haben, dann beweist diese Behauptung 
große Unkenntniß des Lebens und der Geschichte. Die Frauen 
haben Tauglichkeit für die höchsten Stellungen der Gesellschaft 
genau in dem Berhältniß bewiesen, als sie dazu zugelassen wurden. 
- , Durch eine seltsame Jnconsequenz werden sie, die nicht zur nied¬ 
rigsten Würde im Staate wählbar sind, in einigen Ländern zur 
höchsten, zur königlichen Würde zugelassen; und wenn es einen Be¬ 
ruf giebt, zu dem sie entschiedene Befähigung gezeigt haben, so ist 
es der der Herrscherin. Wir brauchen hier nicht auf die alte Ge¬ 
schichte zurückzugreifen; wir sehen uns vergebens nach tüchtigeren 
oder standhafteren Herrschern um als Elisabeth, Jsabella von 
- - ' Castilien, Maria Theresia, Katharina von Rußland, als Blanche, 
die Mutter von Ludwig IX. von Frankreich und Jeanne d'Albret, 
die Mutter von Heinrich IV. Die Ueberlieserung kennt wenige 
Könige, welche mit schwierigeren Verhältnissen gerungen und sie so 
siegreich überwunden haben. Selbst im halbbarbarischen Asien haben 
Fürstinnen, welche sich nie den Männern außer denen ihrer eigenen 
Familie gezeigt und niemals mit ihnen außer hinter einem Vor¬ 
hang verkehrt hatten, während der Minderjährigkeit ihrer Söhne 
-- Wir können es uns nicht versagen, aus einem Aufsatz von Sydney 
Smith in der Läinlnn-ßch Rsvisrv eine vortreffliche Stelle über diesen Theil 
des Gegenstandes hieherzusetzen: „Es ist viel von einer ursprünglichen Ver¬ 
schiedenheit der geistigen Anlage b.ei Frauen und Männern geredet worden: 
daß die FrauenNme-rafiberd Auffassung, die.'MLnner ein sichreres Urtheil be¬ 
sitzen, daß die Frauen sich mehr durch Feinheit der Gedankenverbindung, die 
Männer mehr durch die Fähigkeit, Gedanken sestzuhalten, auszeichnen. Ich 
gestehe, daß mir das alles sehr phantastisch vorkommt. Daß zwischen den 
° Geistesgabcn der Männer und der Frauen, denen wir alle Tage begegnen, ein 
Unterschied besteht, muß, glauben wir, jedermann bemerken; aber es ist gewiß 
kein solcher, der nicht durch die Verschiedenheit der Verhältnisse in welche sie 
gebracht worden sind, zur Genüge erklärt werden kann, ohne daß man eine 
.Verschiedenheit der ursprünglichen Geistesanlage anzunehmen brauchte. So 
»lange ilnaben und MLd-ben sich im Straßenkoth hcrumtummeln und ;u- 
sammen Reifen rollen, sind sie einander völlig gleich. Wenn man dann die 
' eine Hälfte dieser Geschöpfe einfängt und sie für eine besondere Reihe von 
Meinungen und Handlungen abrichtet, und die andere Halste für eine genau 
entgegengesetzte, dann wird natürlich ihr Geist sich verschieden gestaltet haben, 
da die eine oder die andere Art von Beschäftigung diese oder jene Fähigkeit 
wachgerufen hak. Es ist gewiß kein Grund vorhanden, sich in irgend welche 
tiefere oder abstrusere Speculationen einzulassen, um eine so überaus einfache 
Erscheinung zu erklären."
	        
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