Full text: Vermischte Schriften ; 3 : politischen, philosophischen und historischen Inhalts ; ueber Frauenemancipation, Plato, Arbeiterfrage, Socialismus / übers. von Siegmund Freud (12)

lieber Frauenemancipation. 
15 
Einfluß auszuüben. Allein bei der gegenwärtigen Gestaltung des 
menschlichen Lebens wüßten wir jene verhärtenden Einflüsse nicht 
aufzusinden, denen die Männer unterworfen, und von denen die 
Frauen unberührt sein sollen. Die Einzelnen kommen heutzutage 
nur selten in die Lage, Mann gegen Mann auch nur mit fried¬ 
lichen Waffen zu kämpfen; persönliche Feindschaft und Rivalität 
spielen keine große Rolle im Weltgerriebe; der allgemeine Druck 
der Verhältnisse, nicht das Uebelwollen Einzelner ist das Hinderniß, 
gegen welches sich die Menschen heute zu wehren haben. Wenn 
dieser Druck übermäßig wird, knickt er den Lebensmuth und 
verengt und verbittert das Gemüth, jedoch das der Frauen 
nicht weniger als das der Männer, da jene gewiß nicht weniger 
als diese unter seinen Uebeln leiden. Es giebt zwar noch 
.immer Zwist und Gehässigkeit, aber ihre Quellen sind andere ge¬ 
worden. Einst fand der Feudalherr seinen bittersten Feind in 
seinem mächtigen Nachbar, der Minister oder Höfling in Jenem, 
der ihm seine Stellung streitig machte; aber der Gegensatz der 
Interessen im thätigen Leben wirkt jetzt nicht mehr als Ursache 
persönlicher Feindschaft; die Feindschaften von heutzutage entspringen 
mehr aus kleinen Veranlassungen als aus großen, mehr aus dem, 
was die Leute über einander sagen als was sie gegen einander 
thun, und wenn auch noch Haß, Bosheit und jede Art des Uebel- 
wollcns zu finden ist, so sind sie es doch unter Frauen ganz in 
demselben Maße wie unter Männern. Im gegenwärtigen Zu¬ 
stande der Civilisation könnte die Absicht, die Frauen vor den ver¬ 
härtenden Einflüssen der Welt zu bewahren, nur so verwirklicht 
werden, daß man sie vollständig von der Gesellschaft fernhielte. 
Die gewöhnlichen Pflichten des gewöhnlichen Lebens, wie es 
jetzt bestellt ist, sind mit jeder anderen Weichheit der Frauen 
als mit ihrer Schwäche unverträglich. Und ein schwacher Geist 
in einem schwachen Körper wird sicherlich nicht mehr lange für 
anziehend oder liebenswürdig auch nur gehalten werden. 
Aber in Wahrheit berühren alle diese Argumente und Er¬ 
wägungen in keiner Weise die Grundlagen des Gegenstandes. Die 
wirkliche Frage geht dahin, ob es recht und ersprießlich ist, daß die 
eine Hälfte der menschlichen Gattung ihr Leben in einem Zustande 
erzwungener Unterordnung unter die andere Hälfte zubringen soll. 
Wenn es der beste Zustand der menschlichen Gesellschaft ist, in zwei 
Thcile zu zerfallen, von denen der eine aus Personen mit Willen und 
selbständiger Existenz, der andere aus demüthigen Gefährten dieser 
Personen besteht, jede einem von den ersteren beigegeben, um 
seine Kinder zu erziehen und sein Haus ihm angenehm zu
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.