Full text: Vermischte Schriften ; 3 : politischen, philosophischen und historischen Inhalts ; ueber Frauenemancipation, Plato, Arbeiterfrage, Socialismus / übers. von Siegmund Freud (12)

Ueber Frauenemanclpation. 
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seitigkeit der Verpflichtungen von Seiten des Stärkeren anerkannt 
wird. Eine solche Behauptung würde sich von der Wahrheit 
weit entfernen. Aber auch diese Gegenseitigkeit, welche wenigstens 
bei den höheren und mittleren Classen die Tyrannei ihrer hä߬ 
lichsten Züge beraubte, hat in Verbindung mit dem ursprüng¬ 
lichen Nebel der Abhängigkeit der Frauen ihrerseits wieder ernsthafte 
Nachtheile hervorgerufen. 
Im Anbeginn und bei Stämmen, die sich noch aus einer- 
primitiven Culturstufe befinden, waren und sind die Frauen die! 
Sclavinnen der Mänmr zu Zwecken der Arbeit. ^ Alle schweren 
körperlichen Arbeiten fallen ihnen zu. Der australische Wilve 
geht müssig, während die Weiber mühsam die Wurzeln ausgraben, 
von denen er sich nährt. Ein Indianer, der ein Wild erlegt hat« 
läßt es liegen und schickt eine Frau danach aus um es heim^ 
zutragen. Auf einer etwas vorgerückteren Stufe, wie in Asien, waren 
und sind die Frauen die Sclavinnen der Männer zu Zwecken der 
Sinnlichkeit. In Europa ist darauf frühzeitig wne dritte mildere 
Weise der Herrschaft gefolgt, die nicht durch Schläge oder durch 
Schlösser und Riegel, sondern durch eine sorgfältige Geistes¬ 
drillung gesichert wurde. Auch mischten sich immer mehr Gefühle 
von Wohlwollen und Vorstellungen von Pflichten, wie sie ein Vor¬ 
gesetzter seinen Schützlingen -schuldet, in dieß Verhältnis Aber es 
wurde viele Jahrhunderte hindurch kein Verhältniß von Genossen, 
selbst nicht von ungleichen, daraus. Das Weib war ein Stück der 
Ausstattung des Hauses, des Ruheplatzes, an den sich der Mann 
vom Geschäft oder vom Vergnügen zurückzog. Männer waren da¬ 
mals wie heute die Genossen seiner Arbeit, und ebenso waren 
es zumeist Männer, seines Gleichen, die seine Vergnügungen und 
Zerstreuungen theilten. Innerhalb der vier Wände war er ein 
Patriarch und Alleinherrscher, und die unverantwortliche Macht 
übte ihre Wirkung, indem sie ihn, je nach seiner Gemüthsart mehr 
oder weniger herrschsüchtig, anfpruchsvoll und selbstvergötternd, 
wenn nicht gar zum launenhaften oder rohen Tyrannen machte. 
Aber wenn seine moralischen Eigenschaften dabei Schaden litten, 
so war dieß nicht nothwendig in demselben Maße mit seinen 
geistigen oder schöpferischen Fähigkeiten der Fall. Er mochte 
soviel Geisteskraft und Charakterstärke besitzen, als seine Natur 
und die Verhältnisse seiner Zeit zuließen. Er mochte das „Ver¬ 
lorene Paradies" dichten oder die Schlacht von Marengo ge¬ 
winnen. Dieß war der Zustand der Römer und Griechen und 
der Neueren bis vor kurzer Zeit. Ihre Beziehungen zu ihren 
häuslichen Unterthanen nahmen nur einen Winkel, wenn auch einen 
Mill,->es. Werke. XII. 2
	        
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