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Ueber Frauenemancipation.
immer ein heilsamer ist. Er ist, so sagt man uns oft, das eine
große Gegenmittel gegen die Selbstsucht. Allein wie es sich auch
immer^mit dem persönlichen Einfluß verhalten mag, der Einfluß
ihrer Stellung besitzt in hervorragender Weise die Tendenz, die
Selbstsucht zu fördern. Der allerunbedeutendste Mann, der Mann,
der nirgendwo anders Einfluß oder Beachtung genießt, findet einen
Platz, wo er Oberhaupt und Herrscher ist. Es giebt eine Person,
ihm an Verstand oft weit überlegen, die ihn um Rath zu fragen
gehalten ist, während er sie um Rath zu fragen nicht verpflichtet
ist. Er ist Richter, Obrigkeit, Souverän in Betreff ihrer gemein¬
samen Angelegenheiten, er entscheidet in allen Zwistigkeiten zwischen
ihnen. Die Gerechtigkeit oder Gewissenhaftigkeit, vor welche sie ihre
Klage bringen muß, ist seine Gerechtigkeit und seine Gewissenhaftig¬
keit; sein Amt ist es, die Wagschalen zu richten und die Wage zu
^ halten zwischen seinen eigenen Wünschen oder Ansprüchen und jenen
eines Anderen. Es ist dieß jetzt in civilisirteu Ländern das einzige
^Tribunal, bei welchem dieselbe Person zugleich Richter und Partei
k ist. Eine großmüthige Seele läßt in solcher Stellung die Wage auf
die Seite des Anderen sinken und giebt diesem nicht weniger,
sondern mehr als das gebührende Theil. So kann sich für die
schwächere Seite sogar ihre Abhängigkeit in ein Werkzeug der Macht
verwandeln, und sie kann in Ermangelung der Gerechtigkeit aus dem
Edelsinn einen unedlen Vortheil ziehen, während die ungerechte
Macht für die, welche sie so uneigennützig gebrauchen, eine Last
und eine Qual wird. Aber was geschieht, wenn ein Mann wie
Männer durchschnittlich sind mit dieser Machtvollkommenheit aus¬
gerüstet wird , ohne Gegenpflichtcn und ohne Verantwortlichkeit?
Gebt einem solchen Mann die Vorstellung, daß er nach Sitte und
Gesetz der erste sei, daß zu wollen seine Sache sei, ihre Sache sich
dem Willen zu fügen; dürfen wir da wohl annchmen, daß diese
Vorstellung seinen Geist nur oberflächlich streifen wird, ohne in
seine Tiefen einzudringcn und ohne auf seine Gesinnungen und
Handlungen einzuwirken? Die Neigung, sich und seine Interessen
in die erste Reihe zu stellen, diejenigen Anderer höchstens in die
zweite, ist nicht so selten, daß sie dort fehlen sollte, wo alles wie
mit Absicht darauf angelegt scheint, ihre Herrschaft zu ermuthigen.
Wenn dem Manne irgend welcher Eigenwille innewohnt, so wird
er entweder wissentlich oder unwissentlich zum Despoten seines
Hauses. Das Weib erreicht zwar oft ihre Zwecke, aber das ge¬
schieht durch irgend welche von den mannigfachen Abarten der Be¬
rechnung und Verstellung. So wirkt ihre Stellung verderbend
auf Beide; bei dem Einen erzeugt sie die! Laster der Macht / bei
—. / n,.