Full text: Vermischte Schriften ; 3 : politischen, philosophischen und historischen Inhalts ; ueber Frauenemancipation, Plato, Arbeiterfrage, Socialismus / übers. von Siegmund Freud (12)

Ueber Frauenemancipation. 
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dem Anderen die der List. Frauen sind in ihrem gegenwärtigen 
physischen und moralischen Zustand von stärkeren Impulsen be¬ 
herrscht als die Männer, und man sollte daher erwarten, daß 
sie offener und freimüthiger seien als diese; doch werden sie 
in allen alten Sagen und Ueberlieferungen als falsch und heuch¬ 
lerisch geschildert. Warum? Weil sie ihre Ziele nur auf Schleich- 
erreichen können. 3n allen Ändern, lvo die Frauen levhaste 
Wünsche und einen thätigen Geist besitzen, tritt diese Folge unaus¬ 
weichlich ein, und wenn sie in England weniger auffällig ist als 
anderswo, so kommt dieß daher, daß die englischen Frauen, verein¬ 
zelte Ausnahmen abgerechnet, aufgehört haben, lebhafte Wun,che 
oder einen thätigen Geist zu besitzen. ' / ' ' ' 
Wir sprechen jetzt nicht von Fällen, wo etwas, das den 
Namen einer starken Zuneigung verdient, aus beiden Seiten vor¬ 
handen ist. Wo eine solche vorkommt, ist sie em zu mächtiger 
Factor, um nicht die schlechten Einflüsse der gegenseitigen Stellung 
wesentlich zu mildern ; doch kann sie dieselben nur selten gänzlich 
zerstören. Viel häufiger sind die schlechten Einflüsse zu stark für 
die Zuneigung und zerstören diese. Die höchste Art dauerhaften 
ehelichen Glückes würde hundertmal häufiger Vorkommen, als es der 
Fall ist, wenn das Gefühl, das beide Geschlechter von einander 
verlangen, jene ächte Freundschaft wäre, die nur zwischen Personen 
bestehen kann, die einander an Rechten und an Fähigkeiten gleich 
sind. Aber an dem, was gewöhnlich im ehelichen Leben Zunei¬ 
gung genannt wird — das gewohnheitsmäßige und fast mechanische 
Gefühl von Wohlwollen und wechselseitigem Behagen, das in der 
Regel zwischen Personen, die stets mit einander verkehren, erwächst, 
wenn sie sich nicht geradezu abstoßen, — an diesem ist nichts, was 
den unheilvollen Einflüssen der Ungleichheit entgegenwirken oder sie 
modificiren könnte. Solche Gefühle bestehen oft zwischen einem 
Sultan und seinen Favoritinnen, einem Herrn und seinen Dienern; 
sie sind nur Beispiele von der Biegsamkeit der menschlichen Natur, 
welche sich in gewissem Maße selbst in die schlimmsten Berhältniffe 
zu schicken weiß, und zwar vermögen das die gemeinsten Naturen 
immer am leichtesten. , . ,. 
Der persönliche Einfluß, welchen die Frauen aus die Männer 
ausüben, macht dieselben ohne Zweifel weniger schroff und hart; 
in roheren Zeiten war dieß oft der einzige besänftigende Einfluß, 
dem sie zugänglich waren. Aber die Behauptung, daß der Einfluß 
des Weibes den Mann weniger selbstsüchtig macht, enthalt, wie die 
Dinge jetzt stehen, genau so viel Jrrthum als Wahrheit. Dem 
Egoismus gegen das Weib selbst und gegen diejenigen, die ihr am
	        
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