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vollständiges, gegliedertes System mit 9 aufsteigenden Klassen; sie besteht
aus einem Kindergarten, einer Töchterschule (unseren Volksschulen entspre¬
chend), einer Fortbildungsschule, einem Seminar für Kindergärtnerinnen
und einem Seminar für Lehrerinnen. Mit der Anstalt ist auch ein Pen¬
sionat verbunden.
Der Kindergarten zerfällt in zwei von einander getrennte
Klassen, deren jede bei den Beschäftigungen wieder in drei Abtheilungen
getheilt ist. Das Prinzip der Massenbelehrung wie in der Schule hat hier
keine Geltung, sondern die Belehrung und Unterweisung jedes einzelnen
Kindes tritt mehr an deren Stelle. Nur bei den Bewegungsspielen
— auf welches Beschäftignngs- und Bildnngsmittcl Köhler das Haupt¬
gewicht zu legen scheint — werden die Kinder einer Klasse angeleitet, dass
sie zusammen eine Hauptaufgabe lösen, und das Einzelne dem Ganzen sich
nntcrordnen lernt. Köhler fordert von einem guten Kindergarten, dass
in diesem der Geist einer echten Kinderstube wehen solle, und gewiss mit
vollem Rechte. Wäre doch in allen Kindertzärten ein solcher Geist und
kein an die Schnlstnbe erinnernder zu finden! Mütterliches Belehren und
Aufschlussgebcn treten bei Köhler an die Stelle des schulmäßigen Unter¬
richtes. Ich kann hier die Bemerkung nicht unterdrücken, dass auch unsere
Elementarlehrcr bei Ausführung ihrer Methode nicht ans die mütter¬
liche Lchrwcise zur Gänze vergessen möchten.
Als eigenthümlichen Vorzug muß ich dem Köhler'schen Kinder¬
garten das treffliche Spielarrangement zusprcchen. Nur scheint mir
leider das Fröbel'sche »Alles-Besingen« dort noch nicht vollständig erstorben
zu sein. Herr Köhler wird mir im Interesse der guten Sache,
die er seit vielen Jahren in meisterhafter Weise vertritt, gewiss
verzeihen, wenn ich meine Erfahrungen gerade an seiner An¬
stalt von jeder Seite ans zu beleuchten suche. So muß ich z. B.
nach meiner Überzeugung entschieden dagegen mich anssprechen, wenn die
Kleinen unter Anleitung seiner sonst sehr tüchtigen — der Wahrheit sei
die Ehre gegeben —- Kindergärtnerinnen nach beendetem Spiele zum
Niedcrsetzen »kommandiert« wurden und dabei folgendes nichts weniger
als kindlich-wertvolles Verslein sangen: »Brust an Rücken, das ist schön!
Sv lasst uns zum Sitzen gehn.«
Köhler's Kindergärtnerin, Fräulein Berta Schimmel, weiß
ohne überflüssiges Reden und Zanken, das sonst viele Kindergärtnerinnen
bei uns und anderwärts für notwendig zu halten scheinen, vorzügliche
Diseiplin unter den Kleinen zu halten. Aber auch in Bezug auf die Dis-
eiplin dieser Anstalt kann ich meine subjektive Bemerkung nicht unter¬
drücken. Mir kam es so vor, als würden die Kleinen in Köhler's Kinder¬
garten gar zu sehr am Faden gehalten, wodurch selbständige Regungen
und freie Bewegungen der Kinder allzusehr eingeengt, wenn nicht gänzlich
unterdrückt werden, so dass das individuelle Wesen der Kleinen gar
nicht recht zum Vorschein kommen kann. Es muß nicht alle und jede
Bewegung ans Befehl der Tante geschehen, es darf nicht alles und jedes
Anfstehen, Niedersetzen u. s. w. nach dem Takte erfolgen. So sehr ich mit
Herrn Köhler einverstanden bin, wenn er in einem seiner gediegenen