Full text: Das Kindergarten- und Kleinkinder-Schulwesen in Oesterreich und Deutschland

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vollständiges, gegliedertes System mit 9 aufsteigenden Klassen; sie besteht 
aus einem Kindergarten, einer Töchterschule (unseren Volksschulen entspre¬ 
chend), einer Fortbildungsschule, einem Seminar für Kindergärtnerinnen 
und einem Seminar für Lehrerinnen. Mit der Anstalt ist auch ein Pen¬ 
sionat verbunden. 
Der Kindergarten zerfällt in zwei von einander getrennte 
Klassen, deren jede bei den Beschäftigungen wieder in drei Abtheilungen 
getheilt ist. Das Prinzip der Massenbelehrung wie in der Schule hat hier 
keine Geltung, sondern die Belehrung und Unterweisung jedes einzelnen 
Kindes tritt mehr an deren Stelle. Nur bei den Bewegungsspielen 
— auf welches Beschäftignngs- und Bildnngsmittcl Köhler das Haupt¬ 
gewicht zu legen scheint — werden die Kinder einer Klasse angeleitet, dass 
sie zusammen eine Hauptaufgabe lösen, und das Einzelne dem Ganzen sich 
nntcrordnen lernt. Köhler fordert von einem guten Kindergarten, dass 
in diesem der Geist einer echten Kinderstube wehen solle, und gewiss mit 
vollem Rechte. Wäre doch in allen Kindertzärten ein solcher Geist und 
kein an die Schnlstnbe erinnernder zu finden! Mütterliches Belehren und 
Aufschlussgebcn treten bei Köhler an die Stelle des schulmäßigen Unter¬ 
richtes. Ich kann hier die Bemerkung nicht unterdrücken, dass auch unsere 
Elementarlehrcr bei Ausführung ihrer Methode nicht ans die mütter¬ 
liche Lchrwcise zur Gänze vergessen möchten. 
Als eigenthümlichen Vorzug muß ich dem Köhler'schen Kinder¬ 
garten das treffliche Spielarrangement zusprcchen. Nur scheint mir 
leider das Fröbel'sche »Alles-Besingen« dort noch nicht vollständig erstorben 
zu sein. Herr Köhler wird mir im Interesse der guten Sache, 
die er seit vielen Jahren in meisterhafter Weise vertritt, gewiss 
verzeihen, wenn ich meine Erfahrungen gerade an seiner An¬ 
stalt von jeder Seite ans zu beleuchten suche. So muß ich z. B. 
nach meiner Überzeugung entschieden dagegen mich anssprechen, wenn die 
Kleinen unter Anleitung seiner sonst sehr tüchtigen — der Wahrheit sei 
die Ehre gegeben —- Kindergärtnerinnen nach beendetem Spiele zum 
Niedcrsetzen »kommandiert« wurden und dabei folgendes nichts weniger 
als kindlich-wertvolles Verslein sangen: »Brust an Rücken, das ist schön! 
Sv lasst uns zum Sitzen gehn.« 
Köhler's Kindergärtnerin, Fräulein Berta Schimmel, weiß 
ohne überflüssiges Reden und Zanken, das sonst viele Kindergärtnerinnen 
bei uns und anderwärts für notwendig zu halten scheinen, vorzügliche 
Diseiplin unter den Kleinen zu halten. Aber auch in Bezug auf die Dis- 
eiplin dieser Anstalt kann ich meine subjektive Bemerkung nicht unter¬ 
drücken. Mir kam es so vor, als würden die Kleinen in Köhler's Kinder¬ 
garten gar zu sehr am Faden gehalten, wodurch selbständige Regungen 
und freie Bewegungen der Kinder allzusehr eingeengt, wenn nicht gänzlich 
unterdrückt werden, so dass das individuelle Wesen der Kleinen gar 
nicht recht zum Vorschein kommen kann. Es muß nicht alle und jede 
Bewegung ans Befehl der Tante geschehen, es darf nicht alles und jedes 
Anfstehen, Niedersetzen u. s. w. nach dem Takte erfolgen. So sehr ich mit 
Herrn Köhler einverstanden bin, wenn er in einem seiner gediegenen
	        
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