Full text: Preßfreiheit und Preßrecht

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besten jener widerliche Brei aus Sensationsmacherei, rohem Klatsch und 
unwahrer Sentimentalität, mit dem diese Presse ihre Spalte» füllt? Von 
der Bäuerlescheu Klatschzeitung des Vormärz zieht sich bis zu den 
Zeitungen unserer Zeit eine gerade Linie; die verbreitetsten und be¬ 
liebtesten Zeitungen waren in Wien immer jene, die den Neigungen des 
Spießbürgers am unbedenklichsten entgegengekommen sind. Was aber weiß 
diese Neug ierd en presse von den furchtbaren Wirkungen unseres 
Preßelends, was liegt ihr an Preßfreiheit? Das Preßunrecht traf nur 
die ernste Presse, die Zeitungen, die eine Überzeugung ansdrücken, 
politischen und sozialen Kämpfen nachgehen, vor allem also die Arbeiter¬ 
presse. Die Macht der feilen, überzeugungslosen Presse kann durch nichts 
anderes bezwungen werden als durch die Freiheit — die Freiheit, 
die die Volker reif und die Zeitungen ernst macht. 
Der österreichischen Presse mangelt es an Redlichkeit. Es fehlt ihr 
nicht bloß an jener Anständigkeit, die eigentlich so selbstverständlich sein 
sollte, daß man noch gar nichts ist, wenn man nur ein anständiger 
Mensch ist, es mangelt ihr auch jene Ehrlichkeit, die von dem Bedürfnis 
nach Wahrheit eingegeben ist. Aber wer die Dinge erkennen will, nicht 
bloß wie sie sind, sondern auch wie sie geworden sind, der kann nicht be¬ 
streiten, daß die eigentliche Ursache des moralischen Verfalles der öster¬ 
reichischen Presse die Tatsache ist, daß sie in d i e K n e ch t s ch a f t 
des Kapitals geraten i st. Nur so ist cs zu erklären, daß aus 
der Arbeit, die einst eine Mission war, nun ein Geschäft geworden ist, 
daß sich innerhalb der Zeitungsschreiber ein Schmarotzertum eingenistet 
hat, dessen Nachbarschaft jedem anständigen Menschen die Schamrote 
ins Gesicht treibt, daß diese Zeitungen zu allem fähig sind und für jede 
Schlechtigkeit zur Verfügung stehen. Von der grobmateriellen Korruption, 
der gemeinen Käuflichkeit, bis zu der alle sittlichen und ethischen Werte 
verschüttenden Herrschaft der Cligne» und Koterien — welche Bilder der 
Verwüstung! Aber diese Entartung ist nur zu bekämpfen durch Befreiung 
der Presse von den Banden, die sie heute knechte» ; die Besserung kann 
nur von Maßregeln kommen, die den Zeitungen Freiheit, Licht und Luft 
geben! Das Problem des modernen Journalismus ist eigentlich, die 
Zeitungen den Zeitungsschreibern z u rü ck zu g e b e n. 
In seinem Motivenberichte hat Herr v. Koerber Worte gesagt, die, 
wenn er sie ernst meint, seiner Einsicht ein rühmliches Zeugnis ausstellen. 
Von Gewicht, sagt er, ist auch das materielle Moment. Eine gute Zeitung 
koste viel Geld, der Preis der Zeitungen könne aber nicht erhöht werden 
und die Einnahmen aus den Anzeigen seien gering. Das Fazit sei, daß 
nur wenige Zeitungen gedeihen, der große Rest ein kümmerliches Dasein 
friste. Damit begründet er die Freigebung der Kolportage, die die 
materielle Grundlage der Zeitungen verbessern und es also ermögliche» 
werde, daß sich die Presse „unabhängiger und reichhaltiger entwickeln 
wird". Nichts kann richtiger sein als diese Meinung, denn in Wahr¬ 
heit sind die m a t e r i e ll en Sch w i e r i g k e i t e n das größte 
Hindernis d e r E n tw i ck l n n g der a n st än d i g e n, re d l i ch e n 
und e r n st e n P r e s s e, die Voraussetzung für daS Ge¬ 
deihen der feilen und gesinnungslosen Zeitungen. 
Kaution, Zeitnngsstcmpel, Kolportageverbot, Konfiskativnswillkür: waren
	        
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