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Herr Kerschensteiner wäre ohne Bücher weder Doktor noch
Stadtschulrat. Die Bücher sind aufgespeicherte geistige Arbeit;
sie bilden einen wesentlichen Teil des Reichtums der Nationen.
Das Buch ist ein Kulturträger von höchster Wichtigkeit,
aber es ist nicht die Grundlage der Kultur. Die Grundlage
der Kultur ist die Handarbeit, welche Nahrung, Kleidung
und Wohnung für alle und auch für den Denker, für den
Verfasser des Buches schafft.
Das ist die Wahrheit und Wirklichkeit.
Das Buch ist selbst ein grosses, gutes Stück Hand- und
Kopfarbeit, und manches Buch ist ein Denkmal im Dienste
der Mitmenschen und einer grossen Wahrheit. Also Buch
und Arbeit, beides sind Kulturträger und keine Gegensätze;
beide sollen und müssen bei der Erziehung und Bildung
verwendet werden. Erst die Arbeit, dann das Buch; erst
die Praxis, dann die Theorie; erst die Sache, dann das
Wort; erst das Wort, dann die Schrift. Besonders sollen
die Kinder gelehrt werden, die Bücher zu ihrer Erziehung
und Bildung zu gebrauchen. Diese wichtige Lehre versäumt
unsere Schule noch; denn nur wenige selbst unter den Ge
bildeten lernen die Bücher zur Sejbstbildung gebrauchen.
Doch nun die Hauptsache, die Plauptsache: Die alte
Lernschule hat ohne das Mittel der Arbeit Menschen ge
bildet, Menschen, die aufopfernde Arbeit im Dienste ihrer
Mitmenschen und Wahrheit geleistet haben. Also kann
mit dem von Herrn Kerschensteiner gegebenen Hinweis die
Arbeit als Erziehungsmittel nicht begründet werden. Darum
nochmals: Wozu die Arbeit in der Zukunftsschule?
Plerr Kerschensteiner antwortet: «Wir brauchen sie, um
der so verschiedenartigen Begabung der Kinder willen. »
Was heisst, was ist Begabung, was versteht man unter
Begabung ?
Herr Kerschensteiner gibt keine Antwort auf diese wich
tige Frage. Wenden wir uns deshalb um Antwort an die
neueste Wissenschaft, an die Experimental-Psychologie. Vor