14
lieh großartigen historischen Einsichten am meisten entspricht.
Zweifellos hat Wilamowitz darin recht, dass die Kenntnis der
griechischen Sprache den Schlüssel bietet zum Verständnisse einer
anderthalbtausendjährigen Cultur. Ebenso wahr ist es, dass
durch das intensive Studium des griechischen Schriftthums nach
modernen psychologischen, ethnologischen und historischen Me¬
thoden einerseits, sowie durch eine Reihe glücklicher Funde
andererseits unsere Einsicht in die einzelnen Phasen dieser Cultur-
entwicklung außerordentlich viel gewonnen hat. Ja man muss
sagen, dass durch die inschriftlich gesicherte Datierung der
orphischen Texte sowie durch die neugefundenen Evangelien¬
fragmente ganz neue historische Perspectiven eröffnet wurden, in¬
dem sich bereits in früher griechischer Zeit geistige Bewegungen
erkennen lassen, die in fast ununterbrochener Reihe bis zum
Christenthume führen. Allein um diese historischen Einsichten
auch nur verständlich zu machen, wäre es nöthig, einen wissen¬
schaftlichen Apparat zu entfalten, der im Schulunterrichte nie¬
mals einen Platz finden wird. Will man namentlich die Cultur-
entwicklung der hellenistisch-römischen Zeit studieren, so ge¬
hören dazu neben den sprachlichen Kenntnissen so gründliche
Studien auf dem Gebiete der Philosophie, Theologie und Wissen¬
schaftsgeschichte, dass ein praktischer Schulmann den Gedanken
gar nicht fassen kann, in diese Entwicklung die Schüler ein¬
führen zu wollen. Wenn die Schüler auch ausgiebige Proben
des hellenistischen und des altchristlichen Griechisch zu lesen
bekommen, so bekommen sie noch immer keine Ahnung der
höchst complicierten, für unsere Denkweise oft sehr schwer ver¬
ständlichen Geistesströmungen dieser Zeitperioden. Dazu kommt
noch, dass es da oft recht unerquickliche ungesunde Dinge zu
erörtern gäbe, die für den feinfühligen Lehrer oft sehr peinlich
wären. Wilamowitz hat uns trotzdem durch seine Reform¬
vorschläge und deren Begründung, namentlich aber durch sein
Lesebuch zu großem Danke verpflichtet. Dieses Lesebuch durch-
zublättern, ist für den Freund und Kenner des Griechischen ein
Hochgenuss, es durchzuarbeiten, für den angehenden Philologen