16
Erstaunen der Schüler beobachten, wenn sie hören, dass rjv
und er am aus denselben Bestandtheilen zusammengesetzt sind
und wie so verschieden klingende Formen wie si? und ata dennoch
von demselben Stamme abgeleitet sind, und man wird sich sagen,
dass eine so organisierte, so durchsichtige, so künstlerisch ge¬
baute Sprache zu lernen, selbst dann den Geist bildet, wenn
man die Einzelheiten später vergisst.
Ich komme zur Syntax. Seit vielen Jahren bin ich bemüht,
darzuthun, dass alle Syntax, insbesondere aber die der beiden
classischen Sprachen auf psychologische Grundlage zu stellen
ist. Mit besonderer Freude habe ich daher bei Wilamowitz den
Satz gelesen, dass die griechische Syntax nicht logisch, sondern
psychologisch ist. Aus Privatgesprächen mit dem verehrten
Gräeisten unserer Universität, mit Herrn Prof. v. Arnim, habe
ich entnommen, dass auch er in diesem Sinne thätig ist, und
so darf ich wohl hoffen, dass sich diese Wahrheit unter den
Philologen nach und nach durchringen wird. In meiner Schrift
„Psychologie im Dienste der Grammatik und Interpretation”
habe ich mehrere Regeln der lateinischen und griechischen
Syntax psychologisch formuliert, und wenn ich Zeit und Muße
finde, so gedenke ich dies demnächst in etwas weiterem Um¬
fange nochmals zu unternehmen. Psychologische Satzlehre kann
man nun freilich in jeder Sprache treiben. Wie ich höre, wen¬
det auch Prof. Meyer-Lübke diese Methode für das Französische
an. Aber in keiner Sprache findet man so viel und so lehr¬
reiche Gelegenheit, sich von der außerordentlichen Fruchtbar¬
keit und von der klärenden, in die Tiefe dringenden Wirkung
dieser Betrachtungsweise zu überzeugen, wie im Griechischen.
Durch liebevolles Versenken in die Seele des Sprechenden ver¬
mag man ungleich mehr aus der griechischen Rede heraus¬
zulesen, als man bei bloß oberflächlicher Betrachtung nach der
alten logischen Methode zu glauben geneigt ist. Die griechische
Sprache ist selbst eines der größten Kunstwerke, die der grie¬
chische Geist hervorgebracht hat. Dem leisesten Drucke des
Denkens und Fuhlens gibt sie nach und vermag die seelische