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Full text: Der Bildungswert des altsprachlichen Unterrichtes und die Forderungen der Gegenwart

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Bewegung des Redenden mit einer Treue und Durchsichtigkeit 
nachzubilden, wie dies auch nicht annähernd eine andere Sprache 
zu leisten imstande ist. In meiner früher erwähnten Schrift 
habe ich dies an mehreren Beispielen gezeigt; lassen Sie mich 
nun ein dort nicht enthaltenes anführen, das aus meiner jüngsten 
Schulerfahrung stammt. Wir lasen im achtzehnten Buche der 
Ilias die Stelle, wo Thetis zu Hephaistos kommt und wie ihr 
Charis einen Stuhl anbietet. Da heißt es Y. 389 f.: Trjv jasv 
Sjcsitoc xad-etasv sjtl hpcvoo apyopoTjhoo xaXoö Sa'5aXsoo' ox6 5s 
bpTjVue Jtoaiv vjsv. Den letzten Halbvei-s, der sich öfter bei 
Homer findet, übersetzte nun ein Schüler: „Unter den Füßen 
aber war ein Schemel.” Ich sagte: Nun, der Sinn ist ja un¬ 
gefähr getroffen, aber die ganze Schönheit der Schilderung ist 
trotzdem durch diese Übersetzung zerstört. Es muss heißen: 
„Unten aber war ein Schemel für die Füße.” Und nun zeigte 
ich den Schülern, wie die Worte des Dichters genau den see¬ 
lischen Vorgang im Zuhörer bestimmen. Durch djtö wird er 
gleichsam veranlasst, den Blick zu senken, da sieht er unten 
einen Schemel und erfährt durch das Wort rcoolv dessen Be¬ 
stimmung. Der Dichter spielt auf der Seele seiner Zuhörer wie 
auf einem Instrumente, er weiß durch die Wahl und durch die 
Stellung der Worte die Phantasie des Lesers nach seinen In¬ 
tentionen zu lenken, und das gibt seinen Beschreibungen eine 
so wunderbar lebendige Anschaulichkeit. 
Wenn es gelingt, eine größere Zahl solcher sprachlicher 
Kunstwerke, wie sie uns ja in Dichtung und Prosa von den 
Griechen in dankenswerter Fülle überliefert sind, zum vollen 
eindringenden Verständnisse der Schüler zu bringen, dann muss 
die Fähigkeit der Schüler, fremde Gedanken zu erfassen, ge¬ 
wachsen sein. An griechischen Sätzen und Perioden können 
sie wie nirgends sonst lernen, das, was sie hören und lesen, in 
ihrem Geiste zu gliedern, zu zerlegen und doch wieder zur Ein¬ 
heit zu verbinden. Auch ihre eigene Rede muss dadurch an 
Klarheit und an Rundung gewinnen. Sehr richtig sagt Wila- 
mowitz: „An Latein und Französisch, den Sprachen der Regel, 
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