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rischen Scene, die er in dem Buche gefunden hatte. Cultur-
geschichtlich noch wichtiger ist aber die Darstellung der Götter
bei Homer. Zeus ist da der Wolkensammler, der Donnerfrohe,
der Hochdonnernde und weithin Blickende. Alle diese Epitheta
zeigen die Auffassung der Gottheiten als Personifieationen von
Naturkräften. Zeus ist aber auch der Gatte der Hera, der
Vater der Götter und Menschen, der mit allen menschlichen
Schwächen behaftete König der Götter. Hier zeigt sich die
rein anthropomorphische Auffassung der Gottheit. Gelegentlich
aber findet man auch Stellen, wo die Erde unter dem Sturm¬
winde erstarrt und Zeus Regenschauer sendet, weil die Menschen
das Recht verdrehen, die Gerechtigkeit austreiben und sich um
den Willen der Götter nicht kümmern (II. XVI, 384ff.). Hier
ist Zeus bereits der Wächter einer sittlichen Weltordnung.. Wir
haben somit in den Homerischen Gedichten eine Urkunde vor
uns, die uns die allmähliche Entwicklung der religiösen An¬
schauungen in sehr lehrreicher Weise zur Darstellung bringt.
Die Auffassung der Götter als Naturmächte ist natürlich die
ältere, und die ethische Bedeutung derselben steht erst in den
Anfängen. Macht man darauf bei Homer aufmerksam, so hat
man dann bei Sophokles Gelegenheit, zu zeigen, wie im Laufe
der vier Jahrhunderte, die zwischen Homer und Sophokles liegen,
sich die religiösen Anschauungen sittlich geläutert haben. Ins¬
besondere in der „Antigone” sind die Satzungen der Götter
geradezu identisch mit den Forderungen der Sittlichkeit, wozu
noch kommt, dass Zeus da schon in fast monotheistischer Auf¬
fassung als der einzige Gott gedacht wird. Dies tritt besonders
deutlich in der schönen Strophe des zweiten Stasimon hervor
(V, 604 ff.), wo des Zeus Macht gepriesen wird, die der Schlaf
nicht bändigt, der Allbezwinger.
Zu solchen und ähnlichen Betrachtungen findet sich auch
sonst nicht selten Anlass, und da hat man Gelegenheit, den
historischen Sinn bei den Schülern zu wecken. Eben weil das
Alterthum als Einheit dahin ist, weil wir dasselbe heute als
einen historischen Process begreifen, der große Wandlungen der