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Full text: Der Bildungswert des altsprachlichen Unterrichtes und die Forderungen der Gegenwart

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Geister in seinem Verlaufe hervorgebracht, weil die Griechen 
Homers für uns nicht mehr dieselben sind wie die Zeitgenossen 
des Demosthenes, bietet der griechische Unterricht auch noch 
den Vortheil, an einzelnen leicht verständlichen Beispielen den 
historischen Sinn der Jugend zu wecken. 
Die ästhetische Betrachtung Homers ist ein überreicher 
Stoff, und ich kann auch hier nur auf das Allerwichtigste hin- 
weisen. Dass die Schüler in Homer einen der größten Dichter 
sehen sollen und nicht etwa eine Sammlung von Hexametern 
und ionischen Wortformen, ist eine selbstverständliche, aber, 
wie ich fürchte, trotzdem nicht immer und nicht überall er¬ 
füllte Forderung. Für die ästhetische Würdigung Homers ist 
übrigens, namentlich soweit der Schulunterricht in Betracht 
kommt, noch sehr viel zu thun. Ich habe jüngst zwei ästhe¬ 
tische Commentare, einen zur Ilias und einen zur Odyssee, zu¬ 
geschickt erhalten und mich einerseits gefreut, dass diese Seite 
der Homerischen Gedichte wieder Beachtung findet, andererseits 
aber gefunden, dass da die Hauptpunkte zu wenig berück¬ 
sichtigt werden, während viel Selbstverständliches in unnützer 
Breite dargelegt wird. Nach meiner Schulerfahrung scheint 
mir der wichtigste Grundsatz für die ästhetische Erklärung 
Homers die fortwährende Berücksichtigung der Thatsache zu 
sein, dass Homer für Zuhörer und nicht für Leser gedichtet 
hat. Hält man diesen Gesichtspunkt fest, dann erscheint die 
sogenannte homerische Breite, dann erscheinen die vielen wört¬ 
lichen Wiederholungen in ganz anderem Lichte. Was für Zu¬ 
hörer bestimmt ist, das muss ganz besonders deutlich und schon 
beim ersten Hören verständlich sein. Jede wörtliche Wieder¬ 
holung, z. B. die einer aufgetragenen Botschaft, macht dem 
Zuhörer Freude, da das stete Wiedererinnern an das früher 
Gehörte ihn angenehm beschäftigt und ihm zugleich eine an¬ 
genehme Pause in der angespannten Aufmerksamkeit ermöglicht. 
Zur richtigen Würdigung einer Dichtung muss man, wie Scherer 
in seiner Poetik so treffend dargethan hat, auch das Publicum 
kennen, für das die Dichtung bestimmt ist, und nicht nur das
	        
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