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Dagegen wende ich ein: Das, was dem einen Theile Vortheil
bringt, ist gewöhnlich für den andern nachtheilig. Ein Dienstbote findet
durch ein gutes Zeugniß allerdings sein besseres Fortkommen; allein der
Dienstgeber, der ihn anfnimmt, wird getäuscht. Wer verdient aber grö¬
ßere Berücksichtigung, der redlicheDienstgeber oder der unehrlicheDienst-
bote? Die Furcht, nach Umständen auch ein unvortheilhaftes Zeugniß zu
erhalten, würde ferner manchen Dienstboten vor Fehltritten bewahren,
welches herrliche Präservativmittel bei der gegentheiligen Ansicht ganz
hinwegfiele. Es ist ferner ganz unrichtig, daß ein Dienstbote mit einem
nicht vortheilhaften Zeugnisse gar keinen Dienst mehr findet. Der eine
Dienstgeber setzt nach Umständen einen besonder«: Werth auf diese, ein
anderer auf jene Eigenschaft des Dienstboten. So kann z. B. ein Dienst¬
bote, der in einem »ermöglichen Hause, wo täglich hundert Gelegenhei¬
ten offen stehen, gestohlen hat, in einem bürgerlichen Hause, ivo die
Frau alles unter eigener Sperre halt, und oft kaum etwas zu stehlen
vorhanden ist, allerdings verwendbar seyn. Ein Hausknecht in einem
Gasthause, der sich dem Trünke ergab, wird an einem andern Orte keine
Gelegenheit dazu finden, wo er auf einen geringen Lohn beschränkt, sich
das Getränk aus Eigenem verschaffen müßte. Es wäre freilich besser, wenn
der Dienstbote gar keinen Fehler an sich hätte; allein wo findet man ganz
fehlerfreie Menschen?
b. Wein daran liegt, die Conduite des Dienstboten
genau in Erfahrung zu bringen, der möge sich des Mit¬
tels der Nachfrage bedienen, womit der nämliche Zweck
ohne so großen Nachtheil für den Dienstboten erreicht
wird.
Vorausgesetzt, es würden alle Dienstgeber bei der Aufnahme des
Dienstboten immer bei dem vorhergehenden Diensthälter Nachfragen, und
es würde bei der Nachfrage immer reiner Wein eingeschenkt, so wäre ja
der Nachtheil für den Dienstboten offenbar der nämliche. Würden aber
nur einige Dienstgeber Nachfragen, so wären die Übrigen die Betrogenen.
Kann man aber die Dienstgeber ohne Unterschied zur Nachfrage verpflich¬
ten ? Soll z. B. eine hochgestellte Dame, die ihre eigenen Leute nicht
Nachfragen schicken will, «veil sie diese mit Recht für parteiisch hält, wohl sich
selbst überall der Nachfrage wegen hinbemühen, oder bleibt manchem Ge¬
schäftsmanne nur die nöthige Zeit dazu?
Die meisten Dienstgeber sind endlich bei der Nachfrage eben so
zurückhaltend mit der Angabe der Fehler des Dienstboten, wie bei der
Ausstellung des Zeugnisses. Wozu nützt also in diesem Falle die Nach¬
frage?