Wiener
IV. Jahrgang. Wien, 30. December 1884.
Nr. 31
Die melmunige Kreuzknpclie und ihre
WolMiiler.
Von Prof. Dr. W. A. Nciimann.
(Fortsetzung.)
Sicher gehört, wie wir oben gesehen, in den Plan
der gothischen Erweiterung ch die südliche Herzogs- und
die nördliche Krcuzkapelle. Der älteste Name der Kreuz
kapelle ist aber St. Mvrauduskapelle, der erst im
XV. Jahrhunderte dem Namen Tirnakapelle gewichen
ist. Ein St. Morandusaltar, der Hauptaltar der Ka
pelle, blieb hier, bis Med. Dr. Will). Rcchberger au
seiner Stelle einen Mariä-Geburtsaltar errichtete
(f 1657). Man hatte im XVII. Jahrhunderte den
Rudolph den Stifter als eigentlichen Gründer der Ka
pelle einfach vergessen. Denn auf ihn geht die Vorliebe
für den h. Morandus zurück, dessen Verwandter der
Herzog zu sein behauptete. Das Haupt des h. Morandus
hat Rudolph IV. von Altkirch nach Wien gebracht. (Man
sehe das Wiener-Heiligthumbuch, 7. Umgang, vorletzte
Abtheilung, Nr. 1. „In ainem jaspidein Sarg daz
heiltumb S. Morand.") DieTirna haben nicht aus Pietät
gegen Rudolph IV. einen Morandusaltar erst geschaffen,
sondern sie haben einen St. Morandusaltar schon vvr-
gefunden, und sich zunächst, aus jetzt nicht mehr erkenn
baren Gründen, um die verwaiste, vielleicht nicht ans
gebaute Kapelle angenommen, an die sie als Restuuratores
und Vollender des Baues außen ihre Wappen anbringen
konnten.
Im Inneren freilich befindet sich an der südlichen
Wand der Kapelle hoch oben der österreichische Binden
schild (als Andenken an Rudolph) und das Tirua'sche
Wappen, das sie wahrscheinlich seit 1376 führen ").
Nicht vor dem letzten Decennium des XIV. Jahr
hunderts erscheinen die Tirna als Begründer der Ka-
°) Letztere ist theilweise mit Materiale gebaut, das von den
romanischen Bauten hcrrührtc. Die schwarzen Steine, die man
im Inneren der Kapelle sieht, gehören dem alten Bane an.
Ich glaube, daß sie voni Abbruche der alten Apsiden, über
haupt von der Zeit noch vorhanden waren, als man den
ersten Erweiterungsbau, wahrscheinlich mit neuem Materiale,
begann und das alte sür solche Bauten, wie das Mancrwcrk
der Kapellen, als Flickwerk verwendete, wodurch ihre Kosten sich
bedeutend verminderten.
'") Das Wappen der Margaretha von Tirna (si 1348),
begraben im Minoritenkloster, könnte im Necrologium, welches
Lind im Alt.-Ver. 1872 XII, S. 53 ff. heransgegeden hat,
eine Prolepsis sein.
pelle. Sie haben vorher ihre Vorsorge anderen Bene-
ficien und Altären zu St. Stephan zugcweudet. Sie
erscheinen in einer bei den Schotten anfbewahrten
kirchlichen Zusammenstellung des XIV. Jahrhunderts
als die Lehensherren der Nissn rvpiw IViiiirivi (das
ist Friedrich des Schönen ") und der Ni88n Ltepluwi
dlnssr. st
Im Jahre 1397 geben Rudolph und Ludwig von
Tirna in einem Regest, welches der von uns oft,
eigentlich immer, citirte Camcsina herausgegeben hat ^),
uns davon Kunde, daß schon ihre Großeltern Friedrich
und Anna zusammen vier Messen bei St. Stephan ge
stiftet haben, welche Hanns, deren Sohn, wirklich „auf
gerichtet" hat. Jener Act des Friedrich und der Anna
könnte wohl ins Jahr 1348 ^), die Executivn aber
ungefähr ins Jahr 1362 gehören. Es ist allerdings
wahrscheinlich, daß die Stiftung, welche Rudolph und
Ludwig ini Jahre 1397 machten, schon für die Tirna-
sche Kapelle bestimmt war. Aber es ist eine andere
Möglichkeit durchaus nicht ausgeschlossen; denn nach
1447 hatte das Tirua'sche Geschlecht die Lehensherr
schaft über Stiftungen am Allcrhciligenaltar, wie das
Regest 372 nachweist ").
Es erscheint daher als sehr leicht denkbar, das; jene
Stiftungen der alten Tirnaer sich auf den Hvuptaltar
der Oberkirche von St. Stephan bezogen haben. Denn
seitdem die Tirna'schen Brüder ihre eigene Kapellen
stiftung gemacht haben, werden sic wohl all' ihre Vor
sorge gerade dieser zugewcndet haben, wie denn auch
kein Regest bei Camesina sich findet, daß eine Schenkung
der Tirna an den Allerheiligenaltar nach 1397 enthielte.
'Nur ist zu bedenken, daß im obigen Regest Nr. 60
die Kinder Tirna (Rudolph und Ludwig) ihr Haus zu
nächst dem Münzhof ") in der Wollzcilc und Leistun
gen widmen, welche später als der Tirnakapelle
incorporirt erscheinen.
Es wird also wohl noch im Jahre 1397 die Ab
sicht der beiden Stifter sich zunächst nicht um die
") Hormayr, Wien, Urkundenbuch Nr. XXII. gag. I.VIII.
") Verein für Landeskunde 1869, S. 185, Regest 60.
1349 fällt eine fromme Stiftung Friedrichs Tirna für
die Augustinerkirche. Mitth. des Alt.-Ver. 1861, S. 160.
") Man vergleiche Mitth. des Altcrth.-Vereins I, S. 241
(Nr. 485). Es handelt sich um das Haus gerade herüber von
den (jetzigen) 3 Raben im Rabengäßchen.
") 1388 hat Friedrich von Tirna das Viertel des Stroh
hofes neben dem Zwcttelhofe gekauft. (Camesina, Blatter des
Vereines für Landeskunde 1870, S. 4. Mitth. des Alterth.«
Vereines 1870, S. 268.)