XIII. Jahrgang.
Wien, 23. April 1893. Nr. 22 und 23 (2. Serie).
Mittheilungen ans der Donüiauhütte.
1. Gegenwärtig ist die Dombauhütte mit der Restau-
rirung des Inneren der Vorhalle des Singerthores
beschäftigt.
Die beiden, nahezu gleich gestalteten unteren Seiten
eingänge, das Singer- und das Bischofthor, sind im
14. Jahrhunderte erbaut; die erst später errichteten
Vorhallen vor denselben stammen aus dem Beginne
des 16. Jahrhunderts.
Das sehr reich gestaltete Singerportale ist von zwei
Säulen mit Baldachinen flankirt, unter welchen rechts
die Statue des segnenden Heilands, links die des
Moses steht. An den Seiten des Thüreinganges be
finden sich die Statuen Rudolph IV. und seiner Ge-
malin Katherina mit ihren Wappenträgern.
Im Tympanon des Portalbogens sind Reliefs,
welche in hocherhabener Arbeit die Bekehrung des hl.
Paulus, seine Taufe und seine Enthauptung darstellen.
Der Portalbogen ist mit 10 Baldachinen und den
Statuen der hl. Petrus, Paulus, Andreas, Jacobus
waior, Johannes Evang., Bartholomäus, Matthäus,
Jacobus minor, Judas Thaddäus und Johannes Bapt.
geschmückt. In der in allen Theilen stark beschädigten
Vorhalle sind zahlreiche Ergänzungen an den Figuren
und Ornamenten vorzunehmen, auch muß das ver
schobene und zersprengte Gewölbe derselben theilwcise
erneuert werden.
2. Die Kirchenvorstchung von St. Stephan hat über
Vorschlag der Dombauleitung die Rcstanrirung von
zwei Oelgemälden, welche früher in der Herzogen-
kapelle waren, durch den Maler und Custos der akad.
Galerie, Herrn Eduard Gerisch, vornehmen lassen.
Diese äußerst gelungen restaurirtcn Gemälde sind nun
mehr wieder im Dome ausgestellt worden, und zwar
das eine (die Taufe des Königs Chlodwig durch den
hl. Remigius darstellend), früher Altarbild der Herzogen-
kapelle, an der Ostwand derselben, das zweite (den
Tod des hl. Johannes von Nepomuk darstellend) an
der Ostwand der Tirna-(Krcnz-)Kapellc.
3. Gelegentlich einer Ausbesserung des Pflasters im
Inneren des Domes wurde beim Nachgraben in der
Nähe des Riesenthores ein kleiner Rest des ursprüng
lichen Fußbodenbelages des ältesten Baues (also der
romanischen Kirche) gefunden, so daß nun constatirt
werden kann, daß das heutige Kirchenpflastcr um
31 Ctm. höher liegt, als der vorm. Kirchenboden,
woraus sich zu ergeben scheint, daß ehemals auch die
Ichwelle des westlichen (jetzig n Riesen ) TboreS um
31 Ctm. tiefer gelegen habe. Es war also der Aus
bau des Domes mit einer großartigen Aufschüttung
des Bodens und mit einer damit zusammenhängenden
Umgestaltung des Thoreinganges verbunden.
Der Apostel- oder Kaiserchor.
Von Prof. Dr. W. A. Ne »mann.
Nur zögernd übergebe ich diese Arbeit dem Drucke.
Denn wenn ich das von mir selbständig gesammelte
Materiale überblicke, so finde ich, daß eigentlich die
wichtigsten Daten, ja viele der Ergebnisse, längst schon
von dem Bahnbrecher ans dem Gebiete der Forschungen,
die die Geschichte des St. Stephansdoms erhellen sollen,
ich meine den gelehrten Feil, geboten worden sind.
Es wäre also wohl das Richtigste, ans seine Arbeiten
hinzuweisen oder höchstens sie zu excerpiren. Allein da
ich doch Einiges schärfer Präcisire, als es F e i l gethan,
und da namentlich in den Urkunden und Regesten zu
dem „Jahrbuch der kunsthist. Sammlungen des Aller
höchsten Kaiserhauses", welche Urkunden ich mit der
Sigla: UL8. UsZ. bezeichnen werde, ein neues Material
für diese Abhandlung erschlossen worden ist, wage ich
es, Dasjenige zu bieten, was als Resultat von Forschungen
in gedruckten Quellen doch einiges Interesse in Anspruch
nehmen kann.
Und trotz der Umsicht, die ich verwendet, wird mir
Manches entgangen sein, ja ich bin mir sicher, daß
Vieles, was ich hier schreibe, der Berichtigung bedarf
und sie binnen Kurzem finden wird. Ich habe mich
n u r auf heimische Quellen beschränkt, als ob es nur
österreichische Archive gäbe, und ich habe Fragen, die
sich von selbst ergeben, entweder durch Hypothesen
beantwortet, oder ganz unbeachtet gelassen, eben weil
ich nur Gedrucktes und nur ein Paar Wienerische
Archivalien benützen wollte. Meine Arbeit schreit gleich
sam nach Jemandem, der die auswärtigen Archive für
den St. Stephansdom in Contribution setzt.
Die südliche Chorhalle neben dem Mittelchor von
St. Stephan, durch ein hohes Gitter gegen das Transcpt
abschließbar, heißt Apostel- oder Kaiserchor und kann
nur mit dem Mittel- und dem nördlichen Chor gleich
zeitig entstanden sein, denn die drei Chorbanten bilden
den Erweiterungsbau, welcher am 23. April 1340
eingeweiht wurde. Die beiden Theologie-Professoren
M. Henricus Langcnstein, genannt de Hassia
(gest. 11. Fevr. 1397), und sein Freund und College