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der Feuersnoth das Wasser zum Dämpsen der Flam
men in aller Eile geschöpft werden könne.
HX.
Weil nicht allein im Anfänge, sondern an noch
mehreren Orten der gegenwärtigen Beschreibung von
der verwunderlichen Größe des hochberühmten St.
Stephansthurmes Meldung geschehen ist, so soll
nun dieselbe durch die Ergebnisse genauer Abmes
sungen, deren zwei vorgefunden wurden, ausführ
licher erwiesen werden. Die eine ist in dem kürzlich
erschienen Buche des berühmten Schriftstellers
Cuspinian, das den Titel führt: „^.ustrin
^oannis OllsxiviauiX auf dem 66: Blatte,
19. Zeile u. ff. enthalten und lautet:
„ünffkb in uliiiuäiiiL ü, iorrü usquo all
aoronnm, quu oironitur, äuoontos psäas, ot
aliquot, juxta msusuram, ui oalaoi, sivs p-oäos
socrunänm Iiaxialäg-s mousurautui-, na L Nutiw-
mntiois: L voroua autom u 3 quo all sum-
mitnbarn oaouiu iiiig 4uo6uto8 onlaeos, und p»o(l 63
et äeoem, quoä in suinwll Inoit quackrinAknios
ootoAintn enlveos, nt 3usp»; qui nseonält et
äeseenäit insiAnis I-ap>ioi<Ia lins ns tempili
Xreiiiteetus ^In^istei' (iireAooius Ikunser ex
I'ribni-Zo M 6 u. 3 u 1 g.vit" . . . was zu deutsch also
lautet: „Er hat in der Höhe von der Erde bis an
den Kranz, wo man herumgeht, 200 und etliche
Werkschuh, nach dem Maße, wie die Schuhe von den
Steinmetzen und den in der Meßkunst Erfahrenen oder
Ngtlmmgtiois gemessen werden; von dem Kranze
aber bis in die Höhe des Gipfels 210 Schuh, was
zusammen 480 Schuh ausmacht, wie cs der berühmte
Steinmetz dieser Kirche, Baumeister Gregor Hauser
von Freiburg, welcher selbst auf- uud abgestiegen ist,
gemessen hat."
Weil aber diese Beschreibung (es sei dies, ohne die
Autorität des Verfassers verletzen zu wollen, gesagt)
nicht wenig dunkel zu sein scheint, weil sie nicht ge
nugsam die unterschiedlichen Abtheilungen dcs Thurmes
berücksichtigt, so sei auch die andere hieher gesetzt,
deren Verfasser ein sehr berühmter Steinmetz war,
welcher im Jahre Christi 1563 am 21. October den
Thurm selbst bestiegen, ihn theilweisc auf das Ge
naueste gemessen und folgende Proportionen gefunden
hat: Von dem Sterne bis auf den Knopf 5 Schuh,
welcher Stern 5 Schuh breit und ebenso hoch ist und
sich nach dem Winde herumtrciben läßt. Der Knopf,
welcher acht Blätter hat, von denen jedes l'/z Schuh
breit ist und welcher in der Höhe ebenso wie in der
Breite .5 Schuh mißt, hat inwendig „über zwerg"
von einem Grat zum andern iO /2 Schuh. Er faßt in
sich 8 Metzen Korn oder 6 Eimer Wein. Von diesem
Knopf abwärts, allwo der Thurm achteckig, jedes Eck
9 Zoll bis an die Rosen, so in der Vierung 14, in
der Dicke 3^/z Schuh in sich hält, sind 6 Schuh
7 Zoll. Oben von dem Knopf bis auf des Knopfes
Gesims, welches achteckig, jedes Eck 4 Schuh, sind 22,
von diesem aber bis zur Anschlagglocke 135 Schuh
5 Zoll; hievon bis an das andere Gewölbe 48 Schuh
3 Zoll; von diesem (zweiten) bis zum dritten 42'/,
Schuh; vom dritten bis auf das vierte und letzte
werden 91, von diesem bis an den Grund des Bodens
76 Schuh gezählt; daß also die Höhe des Thurmes
inwendig, so weit er hohl ist, mit 64 Klaftern
5 Schuh 2^ Zoll, in Allem aber, vom obersten
Theile des Knopfes bis an den Grund, mit 73'/,
Wiener Werkklaftern zu rechnen ist.
Ruft also billigerweise dieses kunstreiche Werk schon
beim bloßen Betrachten große Verwunderung hervor,
so wird es noch mehr von Jenen gepriesen, welche den
Thurm selbst besteigen, was nicht selten zu geschehen
pflegt. Es bedarf jedoch hiezu der Bewilligung des
Herrn Bürgermeisters, welche dem Thürmer mittelst
eines Zettels angezeigt wird.
Anfangs über 553 steinerne Staffel, sodann über
sechs Leitern mit zusammen 200 Sprossen, gelangen
die Besteiger zu der vorerwähnten Anschlag-(Feuer-)
Glocke, allwo sie gemeiniglich ihre Namen zum Ge-
dächtniß anzuschreiben Pflegen. Mittlerweile aber wer
den sie in das Wächterzimmer bei der Uhr geführt,
um sich dort entweder mit einem Kegelspiel zu be
lustigen oder die ermatteten Glieder zu erquicken.
IiXXI.
Auf dem Knopf dieses Thurmes befindet sich jetzt
ein achteckiger Stern vomMonde umgeben,
aus Messing geformt und vergoldet, dessen Ursprung
etliche mit dem Abzug der Türken nach der (ersten)
Belagerung der Stadt in Verbindung bringen.
Als nämlich anno 1529 der türkische Kaiser Soli-
man II. mit 150.000 Mann die Stadt vom
21. Septeniber bis 14. October belagert, während
dieser Zeit sieben Mal vergeblich gestürmt, dabei
14.000 Mann verloren hatte und überdies von
einem starken Ersatzhecre des römischen Reiches ver
nahm, da mußte er wohl mit Spott abziehen, ver
langte aber noch vor Aufhebung der Belagerung, daß
der Stern mit dem Monde als Zeichen des türkischen
Sultans dahin gesetzt werde.
LXXII.
Eben dieser Stern steht in gleicher Höhe mit dem
Marterkreuz auf dem Wienerberg,
welches von demselben Meister, so den Thurm erbaut
hat, verfertigt worden ist.
An dem Kreuz befinden sich zwei Marmelsteinc,
der eine auf der der Stadt zugekehrten, der andere
auf der nach auswärts blickenden Seite. Auf beiden
ist folgende Denkschrift zu lesen: „Gott sei Lob Ehr
und Danck, daß Raab ist kommen in der Christen
Handt. Xnno 1598." Diese zwei Denksteine wurden
von den Türken bei der zweiten Belagerung zer
schlagen.
1-XXIII.
Auf diese St. Stephanskirche und den Thurm sind
anno 1683, als Mahomet oder Achmet Han, der
21. türkische Kaiser, durch seinen Großvezier' Kara
Mustapha Bassa die Stadt vom 14. Juli bis
12. September mit 216.544 Mann belagern ließ,
mit großen und kleinen Kugeln über 1000 Schüsse
d. h. in seinen Theilen.