Full text: Wiener Dombauvereins-Blatt Nr. 50 (2. Serie) 1899 (19.1899,50 (2. Serie))

Wiener 
XIX. Jahrgang. 
Wien, 24. Decembcr 1899. Nr. 50 (2. Serie). 
Ucker die Glocken bei St. Stephan. 
(Schluß.) 
4. Welche Glocke den Namen „Stürmerin" führte, 
weiß ich nicht sicher; es muß eine lauttönende Glocke 
gewesen sein. Immerhin könnte sie mit der „Gcnaunten"- 
aber auch mit der von Test a r e llo „Feuerin" genannten 
identisch sein. Es ist dies die 2. Glocke des nördl. Heiden 
thurms. Jetzt wird sie „Feringerin" genannt. Testarello 
weiß von ihr nichts weiter, als daß sie das Bild des 
heil. Stephanus enthielt und die Jahreszahl 1457. 
Tie beiden Verse der Inschrift, welche Testarello 
abschreibt, bilden ein Distichon und weisen wohl auf 
eine ältere Zeit hin, da der Hexameter ganz in früh 
mittelalterlicher Weise gereimt ist. 
Der Pentameter ist, wie ihn Testarello wiedergibt, 
völlig mißlungen. Deshalb ist es wahrscheinlich, daß 
der „Feuerin" eine andere Glocke voraufging, auf der 
die Inschrift richtig war. Auch diese Glocke wurde 1772 
von Franz Joseph Scheichel umgegossen. 
5. Schon im Stadtrechte von 1340, Juli 23. 
(Tomaschek, Gesch.-Quellen d. St. Wien I, S. 114, 
§ 72, „unz ze pirglockenzeit") wird eine Bierglocke 
erwähnt, welche den Wirthen die Zeit anzeigte, da das 
Ausschenken in und außer Hause beendet sein sollte. 
Don in, S. 90, führte ein analoges Edict vom Jahre 
1459 an, wahrscheinlich aus Hormayr, Gesch. Wien 1, 
II. Jahrg., S. 78. Für seine Zeit (Ende desXVII. Jahr- 
Hunderts) gibt Testarello an, daß diese Glocke im 
Winter um 8, im Sommer um 9 Uhr geläutet wurde. 
— Der Krakauer Kalender von 1703 gibt 10 Uhr 
Nachts als Bierglockenzeit an. Aus obiger Darstellung 
dürfte zu folgern sein, daß der von Testarello 
beschriebenen Bierglocke eine andere voraufging, aus 
der sie durch Umschmelzung 1546 entstanden sei. 
Die Inschrift gibt den Glockengießer Michael Doppler 
au Perger S. 65 (und nach ihm Weiß, Gesch. I 
431) setzt irrthümlich „Bierglocke" statt „Feuerin" 
in's Jahr 1457. 
Sie wurde umgegossen von Franz Josef Scheichel. 
Der Volksmund nennt sie jetzt „Bieringe»Glocke". 
6. Das Chorglöckel. Testarello sagt 
nur, daß es alt ist und die Chorherren zum canoni- 
schen Stundengebete in den Dom ruft. Sie hat weder 
Inschrift noch Zier. Der jetzige Namen ist: Chur-Pötsch. 
7. Die Feuer- oder Rathsglocke, ehe 
mals auf dem Hochthurm, jetzt auf dem nördlichen 
Heidenthurm. Tschischka im „Sonntagsblatt" 1847, 
S. 669, weiß, daß M. Erhärt von Wien 
(1424—1457) die Feuerglocke gegossen habe °). Sicher 
ist, daß in der Kammeramtsrechnung von 1424 eine 
Rathsglocke schon als im Gebrauche stehend erwähnt 
wird: „Ausgabe von den Wächtern: von der ratglokke 
alle quatember 18 jZ Pf., macht 9 ,7." 
Möglich daß dieses Datum sich auf eine im Rathhause 
befindliche Glocke beziehe. Ganz deutlich aber ist von 
der Rathsglocke zu St. Stephan in der Kammeramts-- 
rechnung von 1451 die Rede, da der Büchsenmeister 
der Stadt M. Thomas Kren den Guß übernimmt. 
Die Glocke sollte xxvij Centner wiegen. Dieser 
M. Thomas Kren erscheint in den Jahren 
1444—1462 als Büchsenmeister im Solde der Stadt 
(llhlirz, Wehr und Waffen in Mitth. des WAV., 
XXVIII. Bd.). Er erhält jährlich 78 w Pf. und ein 
Hofgewand (zu 5 7 60 Pf.). Nach der Inschrift, welche 
Testarello gibt, wurde die Glocke 1453 gegossen. 
Das stimmt genau zur Kammeramtsrechnung von 1455: 
„Daran hat M. Thoman zu der stat Händen wider 
„geantwurt die neu ratgloken mitsamt dem abgang 
„im feur 30 Centner 13 «, für den abgang geraitt 
„3^/2 Centner, so wiegt die gloken lautier 26 Centner 
„63 kt von jedem Centner zu gießen 14 sli. cisn. 
„facit 46 7 3 85. (a. a. O. S. 33)." — Nach einem 
Umgusse, welcher 1859 stattfand, scheint die Trans 
location vom Hochthurm in den nördlichen Heidenthurm, 
wo sie jetzt hängt, stattgefunden zu haben. 1867 wurde 
sie vonP 0 zdech ummontirt. Vielleicht infolge dessen 
zersprang sie 1879 und mußte umgegossen werden. 
Diese Arbeit vollführte Georg Gößner von 
Simmering. Die Glocke wiegt 36 Centner. 
8. Das Speiseglöckel neben der großen 
Glocke im Hochthurm (vgl. unser DBVBl. II, S. 106) 
ist kleiner als die Rathsglocke. Sie ist mit dem Bilde 
der hl. Maria Magdalena geziert. Die Inschrift von 
1613 weist auf den Glockengießer Georgius Arnold. 
Spender waren der Bürger Thomas Ring und 
seine Hausfrau Magdalena. 
9. Bekannter als die Rathsglocke ist das P r i m- 
glöckel, da das Volk das Wort „Bräunglöckel" 
daraus gemacht, und an Hilfe gegen die häutige 
Bräune denkt (Ogesser S. 53). Zu Ogesser's 
Zeit wurde auch das Zeichen zum Anzünden der 
Laternen damit gegeben. — Uebrigens wurde im 
XV. Jahrhunderte dieses Primglöckel in der Frühe 
eine Stunde lang geläutet, um die Studenten aufzu 
wecken, damit sie sich für die Messe vorbereiten. (Johannes 
°) Siehe weiter unten unter Nr. 6, Fußnote. 
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