Full text: Wiener Dombauvereins-Blatt Nr. 8 (3. Serie) 1902 (21.1902,8 (3. Serie))

Wiener 
XXI. Jahrgang. Wien, 21. Dezember 1902. Nr. 8 (3. Serie). 
Beitrüge zur Niesenlmfruge. 
Unsere Pflicht ist es, jedes neue Buch, das unseren 
„St. Stephan" behandelt, den Lesern des Domban- 
Vereins-Blattes zur Kenntnis zu bringen. Das jüngst 
erschienene, nicht umfangreiche, aber, wie es scheint, 
sehr wirksame Buch') des Herrn Prof. Dr. H. Swoboda 
über das DomPortale hat das Recht, zu fordern, 
daß cs in dem Blatte des Dombauvereines, und zwar 
gerecht und sachgemäß, besprochen werde. Auch ist diese 
Redaktion sich der Stellung des Blattes innerhalb der 
kaiserl. „Wiener Zeitung" Wohl bewußt: je schärfer ge 
zeichnet der Standpunkt ist, welchen der Dombanverein 
in dieser Frage einnimmt, desto sachlicher müssen die 
Ausführungen seines Blattes sein, soll nicht ein Werk, 
das eine dieser ganz entgegengesetzte Ansicht vertritt, 
durch seine Ruhe und die Sicherheit seiner Darlegungen 
gleich den Beifall für seine Aufstellungen und Schlüsse 
finden, auch wenn der Gegner mit Keulen dreinschlüge. 
Die gute Schreibart, der Fleiß im Sammeln, die Über 
sicht im Verwerten der Tatsachen und Kenntnisse, 
schließlich die ganze Ausstattung müssen dem Werke 
des Herrn Prof. Dr. H. Swoboda Freunde ver 
schaffen. Wir sind im Rahmen der „Wiener Zeitung" in 
dem letzteren Teile der aufgeführten Vorzüge nicht in 
derselben günstigen Lage: denn wir sollten Abbildungen 
bringen, die das Verständnis erleichtern, ja oster erst 
ermöglichen. Wir berufen uns auf die der ersten Serie 
beigelegtcn Tafeln und behelfen uns jetzt wie es 
eben geht. Und anfangs geht cs wirklich ohne diese. 
Denn z. B. einer Abbildung bedarf es nicht, wenn 
wir sagen, daß der Hanpttitel des Werkes sich mit dem 
Inhalte desselben nicht deckt: wirkt cs doch auf das 
Zerhauen, nicht auf die Lösung des Knotens hin. 
Das Endergebnis, auf das das Merkchen hinarbeitet, 
ist, daß es all und jede Ergänzungsarbeit, auch die 
jenige, die es m c h r c m a l a l s r i ch t i g an 
erkennt (und deshalb nicht ansfürlich behandelt), 
d. i. die Wiederherstellung der Bekrönung des Portales 
einfach verbietet, und zwar aus prinzipiellen Gründen. 
Diese werden wohl bis auf einen nicht direkt ange 
geben, aber auch diesen erkennen wir nicht als zutreffend. 
') Prof. Dr. H. Swoboda. Zur Lösung der Riesenti 
nage. Das Riesentor des Wiener St. Stefansdomes u 
Üme Restaurierung. Mit vier Abbildungen. Wien IR 
Schroll u. Co. 30 S. gr. 8°. 
Es heißt S. 8, daß die allgemeine Durchführung 
der Rekonstruierung alter (schon früher umgestalteter) 
Bauwerke „der vollständige Verzicht auf die künst 
lerische Kraft der jeweiligen Gegenwart sei". Die Bei 
spiele, die der Vers, wählt, sind archäologischer Natur. 
Aber ein archäologisch-wissenschaftliches Bedürfnis ist 
es n i ch t, warum das Domportale in ursprünglicher 
Form wieder erstehen sollte: cs ist das Bedürfnis, 
das jeder Wiener hat, nach der höchst möglichen Schön 
heit des inBenütznng stehenden, nicht als 
Ruine zu konservierenden Domes. Die Rekonstruierung, 
die durchaus kein Experiment oder willkürlich 
sein will, läßt der jeweiligen künstlerischen Kraft die 
Bahn frei und offen. Die wahre schöpferische Kunst 
äußert sich in N e n s ch ö p f n n g c n, nicht in Re 
staurierungen. Eine „Basis zur Anregung einer ge 
sunden lebendigen Kunstcntwicklung" kann man von 
Funden nicht erwarten, die ein so eng begrenztes Werk 
wie das Domportale betreffen. Eine Renovierung 
will ja auch gar nicht in die Kunstentwicklung ein- 
grcifen. (S. 26.) Ist einmal der Dom vollständig 
fertig in seinem baulichen Teile und schon früher, 
dann ziehen die Künste in denselben, sie finden ihn 
keinen Augenblick verrammelt. Die Reuaissaneekünstlcr 
sind schon am Ende des XV. Jahrhunderts, noch vor 
Vollendung mancher Meisterwerke der Gotik, wie 
triumphierend in den Dom eingezogen und haben in 
ihrer Weise, die Gotik negierend, gewirkt. Der Lettner 
ist gefallen, neue Altäre entstanden anstatt derjenigen, 
die ehemals unter und auf dieser Bühne bestanden 
und so ging jahrhundertelang die Arbeit der Künste 
fort, die immer das beste für den Dom zu leisten 
sich bemühten. So steht der Dom auch heute offen 
für die Künste, aber mit Fug und Recht doch nur 
für wirkliche Kunst, nicht für kapriziöse Einfälle, 
die als Kunst wollen anerkannt werden. 
Ein anderer Standpunkt, welchen der Verf. ein 
wenig zu stark betont, ist der der „pietätsvollcn 
Erhaltung eines Kunstwerkes". Der Verf. schließt 
Änderungen an demselben, welche nicht aus einem 
vernünftig gegründeten Bedürfnis hcrvorgehen, voll 
ständig aus. Allzu scharf aber, so sagt ein Sprichwort, 
macht schartig. Da hätten also die ehemaligen glatten, 
an der Südseite mit „gemaltem" Maßwerk ver 
sehenen Giebel von St. Stephan in ihrer öden Kahl 
heit erhalten bleiben müssen und Kardinal Rau sch er 
halte eigentlich mit Unrecht den Ausbau der Giebel
	        
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