Full text: Wiener Dombauvereins-Blatt Nr. 8 (3. Serie) 1902 (21.1902,8 (3. Serie))

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freudig begrüßt: und doch freut sich der Wiener 
dieses Ausbaues. Der Dombauverein hätte das Ge 
schenk des Herrn Dumba, der zum Primglöckleintor 
unter zwei der leeren Baldachine die Statuen St. Con- 
stantinus und Helena spendete, eigentlich zurückweisen 
müssen; denn das Bauwerk müßte „pictätsvoll im 
heutigen Zustande erhalten" bleiben und „keine 
Änderung, die nicht aus einem vernünftig gegründeten 
Bedürfnisse hcrvorgcht, dürfte vorgcnommen werden". 
Aber es gibt, und wenn es der Vers, auch leugnen 
möchte, ein vernünftig gegründetes Be 
dürfnis nachAbschluß, nach vollendeter 
Form eines im G e b r a u ch e stehenden Kunstwerkes; 
an Ruinen stößt man sich nicht, sie sollen so erhalten 
bleiben — und mit Sorgfalt, ja Kunst — wie sie 
sind; z. B. manche Klosterruincn in Deutschland. Aber 
für eine dem christlichen Kulte geweihte Kirche begehrt 
Volk und Klerus die Eigenschaft des Vollen det- 
seins, wenn es ein Kunstwerk sein soll. Was anderes 
ist es, wenn irgendwo ein Turm überhaupt nie aus 
gebaut worden ist und etwas anderes, wenn ein ehe 
mals in seiner Weise Vollkommenes später um seine 
charakteristische Schönheit gebracht worden ist. — Das 
Domportale St. Stephan ist verstümmelt, seiner ehe 
maligen Vollendung beraubt; die 10 (12) Konsol- 
köpfe zeigen dieses an; die Wandung der Türe selbst 
ist jämmerlich gebrochen und mit Eisenklammern zu- 
sammengehaltcn; die Kompartimente zwischen den 
Säulen im Innern sind abgehauen. — Und wie nun, 
wenn sich etwa gar Herausstellen sollte, daß gerade 
die ganze Fassade dadurch den wirklichen 
Eindruck der V o l l e n d e t h e i t erst be 
käme, wenn das ruinierte Portale eben auch vollendet 
dastünde? 
Andere prinzipielle Gründe mag der Vers, noch 
haben, wir wollen nur nicht weiter in der Broschüre 
nach ihnen suchen. — Nur möchte es uns fast in 
konsequent erscheinen, wenn ein Schriftsteller, der jedes 
Stück am Portale in seiner jetzigen, auch ruinenhaftcn 
Form schützt, weil sie mindestens Angedenken des 
Stilwechsels bilden, weil selbst dieNarben an den 
Bauteilen eine reiche Geschichte erzählen (S. 14), am 
Ende zu dem Satze gelangt: es müßte (bei der Frage 
um Wiedcranbringung der Konsolköpfe an den neu- 
herzustellcnden Quadern ober dein Spitzbogcntore) 
„jedenfalls die dekorative Gcsamtwirkung bezüglich der 
ganzen Fassade, insbesondere des Hochfensters wohl 
erwogen werden" (S. 29). — Das soll doch wohl 
nur heißen, es müsse erst erwogen werden, ob die 
Konsolköpfe zur Fassade passen. Also sollten sie am 
Ende weggelassen werden, wenn sie nicht passen? ! Und 
dies kann man bald behaupten: denn sichtlich sind sie 
wirklich seinerzeit teilweise etwas verschoben worden. — 
Der Vers, findet die Sache kleinlich (S. 28). Uns 
freilich erscheint die Sache nicht kleinlich, sondern 
wichtig: denn diese Konsolen hat sogar der gotische 
Meister geschont, vielleicht hat gerade er die Ver 
schiebung gemacht; uns aber erscheint der Gedanke 
des Vers, der Broschüre wie eine Durchbrechung des 
allerwärts proklamierten Prinzipcs der pictätsvollcn 
Erhaltung jedes Stückes am Portale, als das Zer 
stören wertvoller Zeugen für das ehemalige Aussehen 
der Bekrönung, wichtiger historischer Zeugen, wie ein 
gotischer Meister das Erbe der Väter verstümmelt 
habe; sagen wir es, wir würden darin eine direkte 
Geschichtsfälschung erkennen. Freilich sind diese Konsol- 
köpfc auch stille Mahner, die das Recht des Portales 
nicht bloß auf Bestand, sondern auch auf Restituierung 
jener Theilc reklamieren, die ihnen 1422 mit Gewalt 
genommen worden sind. 
Was das Meritum des Werkes anbelangt, so 
erkennen wir gerne an, daß mit scharfer Beob 
achtung die schwierigen, um nicht zu sagen, schwachen 
Partien an den Entwürfen des Dombaumeistcrs 
Schmidt gefunden und zum Kampfe gegen sein 
Projekt verwendet sind. Denn der Vers, sucht nach- 
zuweiscn nicht allein, daß die Gründe die für das 
Schmidtschc Projekt angegeben worden sind, nicht 
stringent genug seien, sondern daß das. Projekt 
überhaupt „unhaltbar" sei. Der Autor fordert, daß, 
wenn der jetzige Bestand in seiner Berechtigung 
bestritten werden soll, der bestreitende Teil die 
Bcweislast trage (was ganz richtig ist) und daß im 
Beweise nichts Wichtiges übersehen, nichts Echtes 
einer Erfindung geopfert — und alle vorhandenen 
Überreste und Zeugen .des ursprünglichen Bestandes 
in dem neuen Vorschläge ohne Rest aufgehen sollen. 
— Wenn diese Forderungen an einen Künstler 
ernst gemeint sein sollen, so fordern sic von ihm, 
daß er archäologische Studien mache, am Ende in 
einem mehr oder weniger starken Memorandum, 
mit Zeichnungen belegt, auseinander setze; ähnlich 
wie cS Paul Müller und Prof. Dr. Swoboda 
vom gegnerischen Standpunkte getan haben. Aber 
daran hat Friedrich Schmidt nicht gedacht. Die 
Forderungen sind zu hoch gespannt und passen 
für einen Schriftsteller, nicht für einen Künstler, 
dessen Gedanken sich in sichtbare Schöpfungen um 
setzen, nicht in Worte. — Auch für den Schrift 
steller sind sie zu dehnbar in ihrem Wortlaute. 
Was ist noch an einem alten Bauwerke als 
wichtig zu bezeichnen; „alle vorhandenen Über 
reste" ist ein Ausdruck, der willkürlich dehnbar ist, 
denn, wenn alles berücksichtigt ist, was man noch 
sieht, kann man weiter gehen, zu fordern, was 
man nicht sieht, was aber doch vorhanden sein 
kann in der Mauer, im Boden. Dann spricht der 
Vers, vom ursprünglichen Bestände, ver 
steht aber darunter etwas anderes als Schmidt, 
so daß er (S. 10.) zu dem für uns überraschenden 
Schlüsse kommt, daß der jetzige Zustand ein 
viel treueres Bild der „ursprünglichen Anlage" gibt, 
als der Schmidtschc Entwurf. — Das gibt der 
Vers, übrigens zu, daß Schmidt wirklich die 
vorhandenen Reste in der trichterförmigen Halle, 
wie an den Apostelkvpfcn der kurzen Vorhalle 
richtig verwertet habe, daß auch die Bekrönung des 
Portales richtig getroffen sei. Schmidt hat 
eigentlich, wenn wir den Angriffspunkt der Broschüre 
kurz bezeichnen wollen, das Kämpfcrgcsimse an der 
untern glatten Außenwand, das ebenfalls in seiner 
Gänze zum ursprünglichen Bestände gehört haben 
muß, wie die Broschüre sagt, nicht gehörig beachtet 
und aus diesem Grunde dürsten ihr die für eine
	        
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