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freudig begrüßt: und doch freut sich der Wiener
dieses Ausbaues. Der Dombauverein hätte das Ge
schenk des Herrn Dumba, der zum Primglöckleintor
unter zwei der leeren Baldachine die Statuen St. Con-
stantinus und Helena spendete, eigentlich zurückweisen
müssen; denn das Bauwerk müßte „pictätsvoll im
heutigen Zustande erhalten" bleiben und „keine
Änderung, die nicht aus einem vernünftig gegründeten
Bedürfnisse hcrvorgcht, dürfte vorgcnommen werden".
Aber es gibt, und wenn es der Vers, auch leugnen
möchte, ein vernünftig gegründetes Be
dürfnis nachAbschluß, nach vollendeter
Form eines im G e b r a u ch e stehenden Kunstwerkes;
an Ruinen stößt man sich nicht, sie sollen so erhalten
bleiben — und mit Sorgfalt, ja Kunst — wie sie
sind; z. B. manche Klosterruincn in Deutschland. Aber
für eine dem christlichen Kulte geweihte Kirche begehrt
Volk und Klerus die Eigenschaft des Vollen det-
seins, wenn es ein Kunstwerk sein soll. Was anderes
ist es, wenn irgendwo ein Turm überhaupt nie aus
gebaut worden ist und etwas anderes, wenn ein ehe
mals in seiner Weise Vollkommenes später um seine
charakteristische Schönheit gebracht worden ist. — Das
Domportale St. Stephan ist verstümmelt, seiner ehe
maligen Vollendung beraubt; die 10 (12) Konsol-
köpfe zeigen dieses an; die Wandung der Türe selbst
ist jämmerlich gebrochen und mit Eisenklammern zu-
sammengehaltcn; die Kompartimente zwischen den
Säulen im Innern sind abgehauen. — Und wie nun,
wenn sich etwa gar Herausstellen sollte, daß gerade
die ganze Fassade dadurch den wirklichen
Eindruck der V o l l e n d e t h e i t erst be
käme, wenn das ruinierte Portale eben auch vollendet
dastünde?
Andere prinzipielle Gründe mag der Vers, noch
haben, wir wollen nur nicht weiter in der Broschüre
nach ihnen suchen. — Nur möchte es uns fast in
konsequent erscheinen, wenn ein Schriftsteller, der jedes
Stück am Portale in seiner jetzigen, auch ruinenhaftcn
Form schützt, weil sie mindestens Angedenken des
Stilwechsels bilden, weil selbst dieNarben an den
Bauteilen eine reiche Geschichte erzählen (S. 14), am
Ende zu dem Satze gelangt: es müßte (bei der Frage
um Wiedcranbringung der Konsolköpfe an den neu-
herzustellcnden Quadern ober dein Spitzbogcntore)
„jedenfalls die dekorative Gcsamtwirkung bezüglich der
ganzen Fassade, insbesondere des Hochfensters wohl
erwogen werden" (S. 29). — Das soll doch wohl
nur heißen, es müsse erst erwogen werden, ob die
Konsolköpfe zur Fassade passen. Also sollten sie am
Ende weggelassen werden, wenn sie nicht passen? ! Und
dies kann man bald behaupten: denn sichtlich sind sie
wirklich seinerzeit teilweise etwas verschoben worden. —
Der Vers, findet die Sache kleinlich (S. 28). Uns
freilich erscheint die Sache nicht kleinlich, sondern
wichtig: denn diese Konsolen hat sogar der gotische
Meister geschont, vielleicht hat gerade er die Ver
schiebung gemacht; uns aber erscheint der Gedanke
des Vers, der Broschüre wie eine Durchbrechung des
allerwärts proklamierten Prinzipcs der pictätsvollcn
Erhaltung jedes Stückes am Portale, als das Zer
stören wertvoller Zeugen für das ehemalige Aussehen
der Bekrönung, wichtiger historischer Zeugen, wie ein
gotischer Meister das Erbe der Väter verstümmelt
habe; sagen wir es, wir würden darin eine direkte
Geschichtsfälschung erkennen. Freilich sind diese Konsol-
köpfc auch stille Mahner, die das Recht des Portales
nicht bloß auf Bestand, sondern auch auf Restituierung
jener Theilc reklamieren, die ihnen 1422 mit Gewalt
genommen worden sind.
Was das Meritum des Werkes anbelangt, so
erkennen wir gerne an, daß mit scharfer Beob
achtung die schwierigen, um nicht zu sagen, schwachen
Partien an den Entwürfen des Dombaumeistcrs
Schmidt gefunden und zum Kampfe gegen sein
Projekt verwendet sind. Denn der Vers, sucht nach-
zuweiscn nicht allein, daß die Gründe die für das
Schmidtschc Projekt angegeben worden sind, nicht
stringent genug seien, sondern daß das. Projekt
überhaupt „unhaltbar" sei. Der Autor fordert, daß,
wenn der jetzige Bestand in seiner Berechtigung
bestritten werden soll, der bestreitende Teil die
Bcweislast trage (was ganz richtig ist) und daß im
Beweise nichts Wichtiges übersehen, nichts Echtes
einer Erfindung geopfert — und alle vorhandenen
Überreste und Zeugen .des ursprünglichen Bestandes
in dem neuen Vorschläge ohne Rest aufgehen sollen.
— Wenn diese Forderungen an einen Künstler
ernst gemeint sein sollen, so fordern sic von ihm,
daß er archäologische Studien mache, am Ende in
einem mehr oder weniger starken Memorandum,
mit Zeichnungen belegt, auseinander setze; ähnlich
wie cS Paul Müller und Prof. Dr. Swoboda
vom gegnerischen Standpunkte getan haben. Aber
daran hat Friedrich Schmidt nicht gedacht. Die
Forderungen sind zu hoch gespannt und passen
für einen Schriftsteller, nicht für einen Künstler,
dessen Gedanken sich in sichtbare Schöpfungen um
setzen, nicht in Worte. — Auch für den Schrift
steller sind sie zu dehnbar in ihrem Wortlaute.
Was ist noch an einem alten Bauwerke als
wichtig zu bezeichnen; „alle vorhandenen Über
reste" ist ein Ausdruck, der willkürlich dehnbar ist,
denn, wenn alles berücksichtigt ist, was man noch
sieht, kann man weiter gehen, zu fordern, was
man nicht sieht, was aber doch vorhanden sein
kann in der Mauer, im Boden. Dann spricht der
Vers, vom ursprünglichen Bestände, ver
steht aber darunter etwas anderes als Schmidt,
so daß er (S. 10.) zu dem für uns überraschenden
Schlüsse kommt, daß der jetzige Zustand ein
viel treueres Bild der „ursprünglichen Anlage" gibt,
als der Schmidtschc Entwurf. — Das gibt der
Vers, übrigens zu, daß Schmidt wirklich die
vorhandenen Reste in der trichterförmigen Halle,
wie an den Apostelkvpfcn der kurzen Vorhalle
richtig verwertet habe, daß auch die Bekrönung des
Portales richtig getroffen sei. Schmidt hat
eigentlich, wenn wir den Angriffspunkt der Broschüre
kurz bezeichnen wollen, das Kämpfcrgcsimse an der
untern glatten Außenwand, das ebenfalls in seiner
Gänze zum ursprünglichen Bestände gehört haben
muß, wie die Broschüre sagt, nicht gehörig beachtet
und aus diesem Grunde dürsten ihr die für eine