Full text: Wiener Dombauvereins-Blatt Nr. 8 (3. Serie) 1902 (21.1902,8 (3. Serie))

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lichen und nördlichen Seitenwcmd; keine Kulisse 
vorgcsctzt, sondern den Blick sre>, das ganze Innere 
offen haltend. Hat auch das Dach dieses Portales eine 
andere Form als bei St. Stephan, so kennzeichnet 
doch auch es die selbständige Bedeutung 
dieses Vorbaues genau wie das Portale von 
Jak, in dessen Zier keine Spur des Rundbogens, 
Frieses und des deutschen Bandes sich findet, das die 
Fassade schmückt. Ja selbst den Einbau, welcher ehe 
mals bei St. Stephan innerhalb der Türe unter 
der Empore gewesen sein dürfte (nach den Spuren 
zu urteilen) finden wir in Braisne angedeutct (Siche 
King a. a. O.) — Es muß hier noch einmal be 
sonders betont werden, daß Braisne mit seiner Spitz- 
bogenarkatur den cinengenden gotischen Bogen doch 
nicht hat, um welchen in Wien gestritten wird. — 
Was aber die beiden am gotischen Kapitäl ange- 
sügtcn Steine, von unserem Büchlein mit den Buchstaben 
U und 8 bezeichnet, betrifft, so kann nicht bestritten 
werden, daß sie später an den anderen Fries angesetzt 
wurden, denn sie haben ein Pflanzcmnotiv, das schon 
durch die Nachahmung heimischer Flora beeinflußt scheint. 
Auch findet Res., daß nicht bloß dieses sondern noch 
andere — scheinbar ursprüngliche — Friesstücke in späterer 
Zeit hier eingesetzt, ja teilweise imitiert worden seien, 
so daß über ihre Ursprünglichkeit an der jetzt ihnen 
zukommenden Stelle Gewisses nicht zu sagen wäre. 
Es ließe sich nach dieser Vermutung daraus gar 
nichts für oder gegen Schmidt schließen, d. h. 
ob er einen solchen Friesstein mit seinem Rundbogen 
durchschneide oder nicht. Aber auch nichts für oder 
gegen die Ansicht Swobodas über die Beziehung 
des Frieses zur Ecklösnng vor Einschiebung des spät 
gotische» Kapitäls. Soviel steht fest, das; das Muster 
der Steine U und 8 sich am Portale nicht wieder- 
findct, während das Muster, das an der südlichen 
Hälfte der Kulissenwand sich hinzieht, im steinernen 
Türgewände im Innern sich wiederholt, da es übrigens 
ein besonders oft zu treffendes romanisches Rankcnwerk 
mit zentralen Rosen dastellt; während das Muster der 
Steine U und 8 (aus einem Maskeron sich entwickelnde 
Schematisch gibt den Grundplan Biolle t-l e-D u c, Kredit. 
VIII. 515. — Die Möglichkeit des Einflusses von England her 
ist durch die schottischen Benediktiner gegeben; von Frankreich 
her mrg vielleicht schon zirka 1230 und 1240 wie in der 
höfischen Dichtung, so auch in der Architektur ein Einfluß 
direkt gekommen sein, wenn man bedenkt, daß 1244—1250, 
Billard de Honnecourt Ungarn besucht, vielleicht 
auch das Stift Klosterneuburg oder Heiligenkreuz, und 
daß der gotische Chor von Kaschau dem von Braisne 
ähnlich ist. An ein österreichisches Zisterzienserkloster, dessen 
Fliesen Billard de H o n n e c o u r t zirka 1244 in sein 
Skizzeubuch ausgenommen habe, denkt auch Prof. Dr. Neu 
wirt h. Braisne und Kaschau erwähnt Eitclbcrger in 
den Mitt. der Zentralkomm. IV, S. 146. Billard de 
Honnecourt sagt, daß er nach Ungarn gesendet worden 
sei, wahrscheinlich nach dem Mongoleneinfalle. Ob er eine 
Kirche oder ein Schloß gebaut habe, ist aus seinen Auf 
zeichnungen nicht zu ersehen. Soviel steht fest, daß Kaschau 
erst 1249 als Villa roxia bezeichnet wird und noch nicht 
Bischofssitz war. Der Dom soll erst 1265 — 1271 gegründet 
und sehr langsam gebaut worden sein. Die Verwandtschaft 
zwischen Braisne und Kaschau ist unleugbar, doch ist eine 
Bermittlung über Trier (Mariendom) ebenfalls in Betracht 
z« ziehen. Braisne liegt zwischen Soissvns und Reims. 
dünne Blätter) wohl noch innerhalb des spätromanischeu 
Formcnkreises sich bewegt, aber wahrscheinlich jünger 
als die anderen zwei Muster (die übrigens auch 
Variiert sind) sein dürfte. Augenscheinlich wurde älteres 
Materiale wieder angcwendct. Damit wäre freilich 
dem Projekte Schmidts der Weg gebahnt; 
stringent im Sinne der Forderungen, die die Broschüre 
stellt, ist vielleicht auch diese unsere Darstellung nicht: 
aber wir konstatieren nur, daß der Siegeslauf der 
Broschüre schon dadurch etwas gehemmt wird, daß 
man auf die Fragen, die sie gibt, mit Tatsachen ant 
wortet und daß mau hiemit nachwcist, es seien 
auch die Gegenbeweise der Broschüre, soweit sie über 
das Konstatieren des Tatbestandes hinausgehen, nichts 
weiter als Hypothese des Autors gegen die Hypothese 
des Rezensenten, der cs zudem ja gesteht, daß das 
S ch m i d t sche Projekt eben nicht irreformabel sei, 
wenngleich es im großen und ganzen, ich möchte 
sagen, im Prinzipe, das Richtige getroffen hat. Wir 
folgern nun weiters so: Hat der Dombaumcistcr, nach 
mancher Irrung, die er im Dombauverein dargelegt 
hat, das Richtige in Bezug auf die Bekrönung des 
Portales getroffen, ist es unleugbar, daß er die An 
sätze der Kompartimente zwischen den Säulen richtig 
rekonstruiert hat, ist es eine Tatsache, daß die Wand 
der Vorhalle sich nach außen zu fortgesetzt hat, so ist 
im weiteren dem divinatorischen K ü n st l e r s i n n c 
zuzutrauen, daß er auch über die allgc m eine 
G e st a l t u n g der Vorhalle — ob offen, ob ge 
schlossen — das Richtige gefühlt habe, das allerdings 
noch korrigierbar war. 
Es ist vom Standpunkte eines unbefangenen Be 
schauers nicht gut denkbar, daß der Erbauer des 
Portales gerade seine schönste oder mindestens zweit- 
schönste Archivolte durch eine Kulisse hake so verdecken 
wollen, daß sie von seiner Zeit au bis heutzutage 
immer wieder frisch entdeckt werden muß. Hat er den 
Vorbau gebaut oder geplant, dann hat er ihn offen 
gedacht, wie den Vorbau von Braisne oder wie viele 
am Torgcwände und Tympanon reiche, kurze, 
vorne auf Säulen mit Löwen als Träger ruhende, 
in der Wölbung ganz glatt gehaltene Tvreingänge 
Italiens. — Wäre der Baumeister eher gestorben 
oder sonst vom Baue St. Stephan abgetreten, als 
die Vorhalle fertig war, so ist a priori nicht anzu 
nehmen, daß einer seiner nächsten Fortführer des Baues 
vom Gruudplane des Meisters abgewichcn wäre 
oder daß er direkt einen dem neuen Stile entsprechenden 
schweren Birnstabbogen als Spitzbogen vorgcsetzt, die 
Kompartimente als der „asketischen, neueren" Zeit nicht 
entsprechend heruntergchanen und das so verstümmelte 
Werk seines Vorgängers hinter einem Spitzbogen ver 
borgen hätte. Und ist cs dennoch geschehen, dann war 
nicht der Stilwechsel schuld an diesem Pietätslvsen 
Vorgehen, welcher viel mehr zum Erbauen eines neuen 
Portales als zum Wüten gegen Stabwcrk und Laub 
zier und gegen Säulen (die dann doch wieder als Nach 
ahmung hingcsctzt wurde») geführt hätte. Es muß 
also neben dem Stilwcchscl ein anderer Grund be 
standen haben, der den Nachfolger von der Schuld 
der Pietätslvsigkeit entlastet und doch zur Umgestaltung 
der Vorhalle führt.
	        
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