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lichen und nördlichen Seitenwcmd; keine Kulisse
vorgcsctzt, sondern den Blick sre>, das ganze Innere
offen haltend. Hat auch das Dach dieses Portales eine
andere Form als bei St. Stephan, so kennzeichnet
doch auch es die selbständige Bedeutung
dieses Vorbaues genau wie das Portale von
Jak, in dessen Zier keine Spur des Rundbogens,
Frieses und des deutschen Bandes sich findet, das die
Fassade schmückt. Ja selbst den Einbau, welcher ehe
mals bei St. Stephan innerhalb der Türe unter
der Empore gewesen sein dürfte (nach den Spuren
zu urteilen) finden wir in Braisne angedeutct (Siche
King a. a. O.) — Es muß hier noch einmal be
sonders betont werden, daß Braisne mit seiner Spitz-
bogenarkatur den cinengenden gotischen Bogen doch
nicht hat, um welchen in Wien gestritten wird. —
Was aber die beiden am gotischen Kapitäl ange-
sügtcn Steine, von unserem Büchlein mit den Buchstaben
U und 8 bezeichnet, betrifft, so kann nicht bestritten
werden, daß sie später an den anderen Fries angesetzt
wurden, denn sie haben ein Pflanzcmnotiv, das schon
durch die Nachahmung heimischer Flora beeinflußt scheint.
Auch findet Res., daß nicht bloß dieses sondern noch
andere — scheinbar ursprüngliche — Friesstücke in späterer
Zeit hier eingesetzt, ja teilweise imitiert worden seien,
so daß über ihre Ursprünglichkeit an der jetzt ihnen
zukommenden Stelle Gewisses nicht zu sagen wäre.
Es ließe sich nach dieser Vermutung daraus gar
nichts für oder gegen Schmidt schließen, d. h.
ob er einen solchen Friesstein mit seinem Rundbogen
durchschneide oder nicht. Aber auch nichts für oder
gegen die Ansicht Swobodas über die Beziehung
des Frieses zur Ecklösnng vor Einschiebung des spät
gotische» Kapitäls. Soviel steht fest, das; das Muster
der Steine U und 8 sich am Portale nicht wieder-
findct, während das Muster, das an der südlichen
Hälfte der Kulissenwand sich hinzieht, im steinernen
Türgewände im Innern sich wiederholt, da es übrigens
ein besonders oft zu treffendes romanisches Rankcnwerk
mit zentralen Rosen dastellt; während das Muster der
Steine U und 8 (aus einem Maskeron sich entwickelnde
Schematisch gibt den Grundplan Biolle t-l e-D u c, Kredit.
VIII. 515. — Die Möglichkeit des Einflusses von England her
ist durch die schottischen Benediktiner gegeben; von Frankreich
her mrg vielleicht schon zirka 1230 und 1240 wie in der
höfischen Dichtung, so auch in der Architektur ein Einfluß
direkt gekommen sein, wenn man bedenkt, daß 1244—1250,
Billard de Honnecourt Ungarn besucht, vielleicht
auch das Stift Klosterneuburg oder Heiligenkreuz, und
daß der gotische Chor von Kaschau dem von Braisne
ähnlich ist. An ein österreichisches Zisterzienserkloster, dessen
Fliesen Billard de H o n n e c o u r t zirka 1244 in sein
Skizzeubuch ausgenommen habe, denkt auch Prof. Dr. Neu
wirt h. Braisne und Kaschau erwähnt Eitclbcrger in
den Mitt. der Zentralkomm. IV, S. 146. Billard de
Honnecourt sagt, daß er nach Ungarn gesendet worden
sei, wahrscheinlich nach dem Mongoleneinfalle. Ob er eine
Kirche oder ein Schloß gebaut habe, ist aus seinen Auf
zeichnungen nicht zu ersehen. Soviel steht fest, daß Kaschau
erst 1249 als Villa roxia bezeichnet wird und noch nicht
Bischofssitz war. Der Dom soll erst 1265 — 1271 gegründet
und sehr langsam gebaut worden sein. Die Verwandtschaft
zwischen Braisne und Kaschau ist unleugbar, doch ist eine
Bermittlung über Trier (Mariendom) ebenfalls in Betracht
z« ziehen. Braisne liegt zwischen Soissvns und Reims.
dünne Blätter) wohl noch innerhalb des spätromanischeu
Formcnkreises sich bewegt, aber wahrscheinlich jünger
als die anderen zwei Muster (die übrigens auch
Variiert sind) sein dürfte. Augenscheinlich wurde älteres
Materiale wieder angcwendct. Damit wäre freilich
dem Projekte Schmidts der Weg gebahnt;
stringent im Sinne der Forderungen, die die Broschüre
stellt, ist vielleicht auch diese unsere Darstellung nicht:
aber wir konstatieren nur, daß der Siegeslauf der
Broschüre schon dadurch etwas gehemmt wird, daß
man auf die Fragen, die sie gibt, mit Tatsachen ant
wortet und daß mau hiemit nachwcist, es seien
auch die Gegenbeweise der Broschüre, soweit sie über
das Konstatieren des Tatbestandes hinausgehen, nichts
weiter als Hypothese des Autors gegen die Hypothese
des Rezensenten, der cs zudem ja gesteht, daß das
S ch m i d t sche Projekt eben nicht irreformabel sei,
wenngleich es im großen und ganzen, ich möchte
sagen, im Prinzipe, das Richtige getroffen hat. Wir
folgern nun weiters so: Hat der Dombaumcistcr, nach
mancher Irrung, die er im Dombauverein dargelegt
hat, das Richtige in Bezug auf die Bekrönung des
Portales getroffen, ist es unleugbar, daß er die An
sätze der Kompartimente zwischen den Säulen richtig
rekonstruiert hat, ist es eine Tatsache, daß die Wand
der Vorhalle sich nach außen zu fortgesetzt hat, so ist
im weiteren dem divinatorischen K ü n st l e r s i n n c
zuzutrauen, daß er auch über die allgc m eine
G e st a l t u n g der Vorhalle — ob offen, ob ge
schlossen — das Richtige gefühlt habe, das allerdings
noch korrigierbar war.
Es ist vom Standpunkte eines unbefangenen Be
schauers nicht gut denkbar, daß der Erbauer des
Portales gerade seine schönste oder mindestens zweit-
schönste Archivolte durch eine Kulisse hake so verdecken
wollen, daß sie von seiner Zeit au bis heutzutage
immer wieder frisch entdeckt werden muß. Hat er den
Vorbau gebaut oder geplant, dann hat er ihn offen
gedacht, wie den Vorbau von Braisne oder wie viele
am Torgcwände und Tympanon reiche, kurze,
vorne auf Säulen mit Löwen als Träger ruhende,
in der Wölbung ganz glatt gehaltene Tvreingänge
Italiens. — Wäre der Baumeister eher gestorben
oder sonst vom Baue St. Stephan abgetreten, als
die Vorhalle fertig war, so ist a priori nicht anzu
nehmen, daß einer seiner nächsten Fortführer des Baues
vom Gruudplane des Meisters abgewichcn wäre
oder daß er direkt einen dem neuen Stile entsprechenden
schweren Birnstabbogen als Spitzbogen vorgcsetzt, die
Kompartimente als der „asketischen, neueren" Zeit nicht
entsprechend heruntergchanen und das so verstümmelte
Werk seines Vorgängers hinter einem Spitzbogen ver
borgen hätte. Und ist cs dennoch geschehen, dann war
nicht der Stilwechsel schuld an diesem Pietätslvsen
Vorgehen, welcher viel mehr zum Erbauen eines neuen
Portales als zum Wüten gegen Stabwcrk und Laub
zier und gegen Säulen (die dann doch wieder als Nach
ahmung hingcsctzt wurde») geführt hätte. Es muß
also neben dem Stilwcchscl ein anderer Grund be
standen haben, der den Nachfolger von der Schuld
der Pietätslvsigkeit entlastet und doch zur Umgestaltung
der Vorhalle führt.