Full text: Wiener Dombauvereins-Blatt Nr. 8 (3. Serie) 1902 (21.1902,8 (3. Serie))

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Ref. hat seinerzeit den Grund für diese verdeckende 
Kulisse in dem tristen Zustand gesucht, in welchem 
sich das Portale nach den Riesenbränden des XIII. Jahr 
hunderts befand, welchen gutzumachen die damalige 
Zeit nicht imstande war und die folgende Zeit nicht 
intendierte, denn schon 1304 begann ein Neubau in 
vollständig gotischer Bauweise. — Es war das auch 
eine Hypothese, denn wie weit der Brand gereicht 
habe, was alles im Portale zerstört wurde, wann 
man und wie man die Reparaturen gemacht habe, 
all das sagen die Chroniken nicht. Hätten wir 
bestimmte Nachrichten, so brauchten wir keine oder 
höchst unbedeutende Hypothesen. Man wandelte im 
Lichte der Wahrheit! — Res. gibt also zu, daß das 
große Feuer, welches von den nahen Häusern her 
immer wieder erregt und durch herabsallendcs Dach 
werk genährt wurde, eigentlich zunächst hätte die 
Archivolten zerstören müssen. Er glaubt daher, daß 
weniger die Fcuerflamme, als vielleicht das Holz 
werk in seinem Hereinstürzen die Schäden an den 
Kompartimenten gebracht habe, die zum Abschlagen 
der sämtlichen, weil beschädigten Verzierungen an 
denselben führten. Für die Beschädigung in der 
Vorhalle und am Friese, welche teilweise neu zu 
machen war, muß Res. die Einwirkung des Feuers 
als Hypothese festhalten. 
Ganz eigentümlich nimmt sich die Konzession aus, 
welche die Broschüre (S. 11) macht und doch einen 
ganz überraschenden Schluß ansügt ; es heißt, daß die 
richtigen Elemente seiner (S ch midt s) Beobachtung 
ihn und die Wahrheit sich so nahe brachten, daß 
für ein Vermittlnngsprojekt keine Anhaltspunkte 
übrig blieben. Res. möchte meinen, daß dieser Schluß 
doch nicht ganz richtig, oder nicht human genug sei. 
Ist es wahr, daß Schmidt der Wahrheit nahe 
gekommen sei, so wäre doch eigentlich sein Projekt 
zu korrigieren; es wären seine Schwächen anf- 
zuzeigen, aber nicht notwendig, eine neue Hypothese 
ihr entgcgenzustellen und das Projekt als „unhaltbar" 
zu bezeichnen. 
Aber es scheint, als ob der Vers, das Wort Wahr 
heit nicht auf die Grundlage des Projektes, sondern 
darauf beziehe, ob beim Auftreten des neuen früh 
gotischen Stiles Wohl die trichterförmige Halle, nicht 
aber die Vorhalle vollendet war und zugleich mit der 
Einwölbung die Spitzbogenwand erhalten habe oder 
nicht. Schmidt nimmt an, daß die ganze Vor 
halle (natürlich ohne Kulissenwand) fertig war, als 
die großen Brandkatastrophcn des XIII. Jahrhunderts 
(die wir nicht weiter Präzisieren wollen) eintraten. 
Schmidt dürfte, wenn man den Grundplan von 
Braisne ansieht, Recht behalten. Noch sicherer, 
wenn man anznnehmen sich gezwungen sieht, daß die 
Zierelemente der Archivolten und sogar die Figürchen 
an den Säulenkapitälen des Innern sich in den 
reich verzierten Leibungen der beiden Rundfenster 
der romanischen Fassade wiederholen; daß die Rund 
bögen des Fassadenfrieses mit ihrem Zahnschnitte 
gewiß in der Bekrönung des Portales sich wieder 
holt haben. Das alles: untere Teile der roma 
nischen Fassadenwand, Rundfenster, das Innere der 
Halle, die Bekrönung ober der Vorhalle, alles ist ans 
einem Gusse, von keinem kann man sagen, daß es 
jünger sei. —- Aber mindestens die Vorhalle und das 
Kordongesimse sind durch die oben erwähnten Stadt 
brände stark geschädigt. Flickarbeit findet Ref. eben 
an dem Friese, nachgeahmte Steine; Flickwerk im 
Innern der Vorhalle. An der linken Seitcnwand 
müssen einzelne Quadern als Restaurationsarbeit etwa 
gar des XV. oder XVl. Jahrhundertes erkannt werden; 
das Greifenpaar im Bildfries dieser Ecke ist eine 
Nachahmung eines anderen in dem Portale, kommt 
übrigens so häufig im Mittelalter vor, daß es an 
diesem Orte nicht auffällt. Auffallend ist nur die 
Durchbrechung der Bildsymbolik, die im Architrav 
der trichterförmigen Halle sich abwickelt, auffallend 
auch die nicht geschickte Einfügung dieses Steines in 
die Reihe der Blöcke. Die Kulisscnwand ist ohne 
Winkelsteinc, nicht durchaus mitRücksicht ans den Fugen 
schnitt des Innern angeschoben, in ihrem Friese 
offenbart sie nachlässige Arbeit, so daß wegen 
der zu kurz geratenen Werkstücke zwei glatte Fries 
stückchen links und rechts eingeschaltet werden mußten. 
Auch in den Gurten des Gewölbes der Vorhalle 
zeigt sich die Flickarbeit als Ausbesserung von 
Schäden, aber auch schon in einem neueren Stile. 
Wäre der Satz des Vcrf. richtig, so hätte ja der 
„jüngere" Baumeister freie Hand beim Fortsetzen 
des Gewölbes gehabt. 'Er hätte eben dort fortsetzen 
können, wo sein Vorgänger geendet; er hätte eine 
beliebige Höhe, und zwar in gotischem Spitzbogen 
gewölbe anstreben und frei seine Gurten aufsetzen 
können, nicht auf die Köpfe der Apostel, ch Aber das 
Gewölbe bestand schon, die Wülste waren (wohl durch 
Feuer) schadhaft geworden und er suchte für seine 
Birnstabrippen einen eigenen Gewölbeansatz, kam 
aber damit in die unangenehme Nähe der Büsten. 
Wenn aber die Vorhalle vom ersten Erbauer- 
vollendet war, hat er sein Werk gewiß nicht verhüllt, 
War also die Halle offen, was zudem die Funde 
Nachweisen: dann ist die Frage für den Rundbogen 
am Eingänge prinzipiell entschieden, ohne die Details 
der Ecklösnng fixieren zu können. 
Ref. gesteht, daß cs ihm nicht möglich sei, auf die 
Bemerkungen der Broschüre S. 14 über die „Ein 
heitlichkeit der Mauer", welche die Kulisse bildet, 
tiefer einzugehen. Einmal hat der Vers, sich seine 
Position durch das Zugeben von stellenweisen Aus 
besserungen gesichert. Der Res. müßte eben von diesen 
ausgehcn. Über diese hinaus kann aber kaum irgend 
jemand ohne Hypothese kommen; denn wenn wir 
sagen, daß der jetzige Spitzbogen später eingesetzt 
wurde, so ist dies eben ohne Mtragung sehr be 
deutender Stücke der romanischen Mauer nicht möglich. 
Auch vom Fries mußte vieles weggcnommen werden, 
was, wie wir gesehen haben, mit alten Werk 
stücken oder, wenn diese untauglich schienen, mit neuen 
Nachahmungen ergänzt wurde. Eine solche Ergänzung 
im Stile der alten könnte der ganze Frieseckblock 
unter dem rechtsstehenden Löwen sein, der ein etwas 
einfacheres Muster hat. So wcitgreifend mußte nun 
Der Vers, findet dazu einen „naturgemäßen" Grund 
(S. 16).
	        
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