Full text: Wiener Dombauvereins-Blatt Nr. 8 (3. Serie) 1902 (21.1902,8 (3. Serie))

— 42 
freilich die Abtragung nicht gewesen sein. Sicher hat 
sich der Baumeister bemüht, den Fugenschnitt ein 
heitlich zu gestalten, denn immerhin wollte er nicht 
geradezu die Stellen gekennzeichnet haben, wo seine 
Mauer mit der anderen, stehengeb.liebenen, zusammcn- 
stieß. Er hat im Fries den alten und neuen Bestand 
so zugedeckt, daß sich der Architekt wie der nach 
messende Archäologe vor Fragen gestellt sieht, die er 
mit dem Mcßbande zu lösen nicht imstande ist. — 
Der alte hohe romanische Sockel wurde vielleicht, 
weil auch er Schaden gelitten hatte, seiner Gliederung 
beraubt und eine einfache Schräge gelassen. Die 
jetzigen Platten sind erst unter Schmidt vorgesetzt 
worden. 
Da wir also alle vorhandenen Reste teils im 
Schmidtschen Projekte als schon berücksichtigt ge 
funden haben, teils nachgewiesen zu haben glauben, 
daß sie nicht im wesentlichen das Schmidtsche 
Projekt umstoßen, das ja der Ergänzung und Korrektur 
bedarf, so glauben wir am Satze sesthalten zu sollen, 
daß Schmidts Projekt nicht unhaltbar, 
wohl aber korrigierbar sei. Da wir aber ohne Hypothese 
nicht arbeiten können, dürfen wir unserer Arbeit 
keinen höheren Wert als den einer Hypothese zu 
Gunsten des Schmidtschen Elaborates zuschrciben; 
die Arbeit aber des gegnerischen Archäologen und 
Kritikers können wir eben auch nicht anders be 
nennen. So stünde also Hypothese gegen Hypothese. H 
Nur stellt sich die crstere an die Seite eines Künstlers 
und will mit ihm anfbaucn. Die andere will nur 
bindernd einwirkcn und kümmert sich um ein wichtiges 
Moment nicht: um das Moment der größt 
möglichen Vollkommenheit eines 
Kunstwerkes, das im lebendigen Gebrauche 
der kirchlichen Gemeinde steht und nicht bloß ein 
Zeugnis abgcben soll über die Peripetien der Kunst 
geschichte. 
1l. 
Wir müssen nun den zweiten Schlußsatz behandeln, 
zu welchem der Vers, kommt: er sagt „daß, selbst 
wenn dasProjcktSchmidts akademisch 
richtig wäre, nichts dazu berechtigen 
würde, eine völlige Wiederher 
stellung des alten Zustandes zu ver 
sprechen. Um dies nachznwciscn, bespricht er zuerst 
die Unmöglichkeit, diejenigen Niveauverhältnisse her- 
zustellcn, die das romanische Portale, soll es günstig 
wirken, fordert. (S. 25.) Wir geben zu, daß die 
Niveanverhältnisse dem romanischen Toreingange nicht 
besonders günstig sind; obschon, wie uns der Dombau- 
meistcr nachweist, das Terrain des Dompvrtales 
zu der hölzernen Türe hin nicht eben ganz un 
bedeutend anstcigt. Doch fällt cs niemanden ein, 
an den Niveauverhältnisscn des Stcphansplatzes oder 
im Innern der Portalhalle etwas zu ändern, 
und so wird das Rundbogentor allerdings immer 
st S. 18 tritt die in der Hypothese richtig verwendete 
Redeform deutlich zutage: „Es kann", „konnten" und ähn 
liches. Was S- 20 über „veräußerlicht" und „verinnerlicht" 
über den xonias loci gesagt ist, darf nur als klingende 
Phrase bezeichnet werden. 
noch etwas an seiner richtigen Wirkung ver 
lieren. Aber man kann einwcnden: wie, wenn dieses 
seit dem Xlll. Jahrhunderte intakt geblieben wäre; 
müßte es nicht ebenso im Boden versunken sein, wie 
die antiken Baureste in Rom, oder die heil. Grotte 
in Bethlehem, das heil. Haus in Nazareth, deren 
Versnnkensein schon dem Mittelalter ausgefallen ist? 
— Dazu kommt, daß das gedrungene Aussehen des 
Wiener Portales als eines romanischen Baues (vgl. 
z. B. das Portale von Civrey, D c h i o, Taf. 249) 
nicht auffallen würde. Dann spricht der Vers, von 
einem Gesetze derFassadcnbildnng. Aber 
Res. kann, selbst wenn er das öftere Vorkommen solcher 
Gestaltungen zugibt, die Einbeziehung des St. Stephaner 
Portales in dieses Fassadengesetz nicht als richtig er 
kennen. Denn dieses Portale ist ein Bau für 
s i ch hat sein eigenes Dach, springt ans der Fassade 
etwas vor und steht seit ältester Zeit nur in sehr 
losem ästhetischen Zusammenhänge mit der Fassade 
ober ihm. Wer auf dem Friedhöfe von St. Stephan 
beim Mcssncrhause sich anfstellte, konnte das ganze 
Portale sehen, sah aber wenig von der Fassade ober 
ihm. Das Messnerhaus stand etwa da, wo jetzt die 
Stcllwagen sich anfstellen. Nirgends in der Stadt 
konnte man die Fassade und das Portale zugleich in 
vollem Anblick betrachten. Weil man das Ganze nicht 
überblicken konnte, vermochte der gotische Baumeister 
des XV. Jahrhunderts das romanische Portale zu ver 
stümmeln. An eine Fassadcnwirkung hat er schon des 
halb nicht gedacht, weil er dann sicher eine ganz 
neue gotische Fassade samt großartigem Portale ge 
baut hätte. Wenn er sich energisch angesetzt hätte, 
würde er auch dazu das Geld erhalten haben, oder 
der Ausbau des Turmes wäre ein paar Jahre ver 
zögert worden. Das Portale von St. Stephan hat als 
selbständiger Bau genug Analogien, sodaß Res. nur 
einige zu nennen braucht: Mainz (Dom), Paderborn 
lGankirchc), Podoniec, Pölitz, Tischnowitz, Deutsch- 
Altcnburg, Tulln; und das von Braisnc; und er er 
wähnt den Dom von Agram °) und die Dekanalkirche 
von Kuttenberg, weil man unter Umständen selbst 
in der gotischen Zeit ganz leicht die Symmetrie und 
erst recht „das Gesetz der Fassadcnbildung" opferte. 
St. Jakob in Regensburg nennt Res. zuletzt; aber 
er könnte auch erwähnen, daß höchst wahrscheinlich 
auch das Portal der Schottenkirche zu Wien im XU. 
Jahrhunderte ein selbständiger, schottisch-irischer Bau 
war mit jenem „Protzenden" Stabwerk in den Archi 
volten und Kompartimenten, wie St. Stephan. Das 
st Der Vers, streift den Gedanken schon S. 8. Wir halten 
an ihm, aber beileibe nicht ans Vorliebe für den romanischen 
Stil, sondern aus Schönheitsgründen, weil wir gerade am 
Portale keine Ruine dulden wollen. 
9 Der Agramer alte gotische Meister hat am Schlüsse des 
XIV. Jahrhunderts das dein Jäker ähnliche Portale des 
XIII. Jahrhunderts stehen lassen, wie cs war, sein eigenes 
Fenster aber nicht in die Axe des Portales gebaut. Es ist 
bekannt, daß das romanische Portale in der Spätrenaissanze- 
Zeit aus dem alten Materiale, an der alten Stelle wieder- 
hcrgestellt worden ist. Mitt. der Zentralkomm. IV. Bd. — 
Uber Kuttenberg (St. Jakobskirche) siehe Neuwirth, 
Geschichte der bildenden Kunst in Böhmen. S. 502. (Abbildg. 
Taf. XXVII.) — Grue be r, Kunst in Böhmen, UI., S-H u. 12.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.