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freilich die Abtragung nicht gewesen sein. Sicher hat
sich der Baumeister bemüht, den Fugenschnitt ein
heitlich zu gestalten, denn immerhin wollte er nicht
geradezu die Stellen gekennzeichnet haben, wo seine
Mauer mit der anderen, stehengeb.liebenen, zusammcn-
stieß. Er hat im Fries den alten und neuen Bestand
so zugedeckt, daß sich der Architekt wie der nach
messende Archäologe vor Fragen gestellt sieht, die er
mit dem Mcßbande zu lösen nicht imstande ist. —
Der alte hohe romanische Sockel wurde vielleicht,
weil auch er Schaden gelitten hatte, seiner Gliederung
beraubt und eine einfache Schräge gelassen. Die
jetzigen Platten sind erst unter Schmidt vorgesetzt
worden.
Da wir also alle vorhandenen Reste teils im
Schmidtschen Projekte als schon berücksichtigt ge
funden haben, teils nachgewiesen zu haben glauben,
daß sie nicht im wesentlichen das Schmidtsche
Projekt umstoßen, das ja der Ergänzung und Korrektur
bedarf, so glauben wir am Satze sesthalten zu sollen,
daß Schmidts Projekt nicht unhaltbar,
wohl aber korrigierbar sei. Da wir aber ohne Hypothese
nicht arbeiten können, dürfen wir unserer Arbeit
keinen höheren Wert als den einer Hypothese zu
Gunsten des Schmidtschen Elaborates zuschrciben;
die Arbeit aber des gegnerischen Archäologen und
Kritikers können wir eben auch nicht anders be
nennen. So stünde also Hypothese gegen Hypothese. H
Nur stellt sich die crstere an die Seite eines Künstlers
und will mit ihm anfbaucn. Die andere will nur
bindernd einwirkcn und kümmert sich um ein wichtiges
Moment nicht: um das Moment der größt
möglichen Vollkommenheit eines
Kunstwerkes, das im lebendigen Gebrauche
der kirchlichen Gemeinde steht und nicht bloß ein
Zeugnis abgcben soll über die Peripetien der Kunst
geschichte.
1l.
Wir müssen nun den zweiten Schlußsatz behandeln,
zu welchem der Vers, kommt: er sagt „daß, selbst
wenn dasProjcktSchmidts akademisch
richtig wäre, nichts dazu berechtigen
würde, eine völlige Wiederher
stellung des alten Zustandes zu ver
sprechen. Um dies nachznwciscn, bespricht er zuerst
die Unmöglichkeit, diejenigen Niveauverhältnisse her-
zustellcn, die das romanische Portale, soll es günstig
wirken, fordert. (S. 25.) Wir geben zu, daß die
Niveanverhältnisse dem romanischen Toreingange nicht
besonders günstig sind; obschon, wie uns der Dombau-
meistcr nachweist, das Terrain des Dompvrtales
zu der hölzernen Türe hin nicht eben ganz un
bedeutend anstcigt. Doch fällt cs niemanden ein,
an den Niveauverhältnisscn des Stcphansplatzes oder
im Innern der Portalhalle etwas zu ändern,
und so wird das Rundbogentor allerdings immer
st S. 18 tritt die in der Hypothese richtig verwendete
Redeform deutlich zutage: „Es kann", „konnten" und ähn
liches. Was S- 20 über „veräußerlicht" und „verinnerlicht"
über den xonias loci gesagt ist, darf nur als klingende
Phrase bezeichnet werden.
noch etwas an seiner richtigen Wirkung ver
lieren. Aber man kann einwcnden: wie, wenn dieses
seit dem Xlll. Jahrhunderte intakt geblieben wäre;
müßte es nicht ebenso im Boden versunken sein, wie
die antiken Baureste in Rom, oder die heil. Grotte
in Bethlehem, das heil. Haus in Nazareth, deren
Versnnkensein schon dem Mittelalter ausgefallen ist?
— Dazu kommt, daß das gedrungene Aussehen des
Wiener Portales als eines romanischen Baues (vgl.
z. B. das Portale von Civrey, D c h i o, Taf. 249)
nicht auffallen würde. Dann spricht der Vers, von
einem Gesetze derFassadcnbildnng. Aber
Res. kann, selbst wenn er das öftere Vorkommen solcher
Gestaltungen zugibt, die Einbeziehung des St. Stephaner
Portales in dieses Fassadengesetz nicht als richtig er
kennen. Denn dieses Portale ist ein Bau für
s i ch hat sein eigenes Dach, springt ans der Fassade
etwas vor und steht seit ältester Zeit nur in sehr
losem ästhetischen Zusammenhänge mit der Fassade
ober ihm. Wer auf dem Friedhöfe von St. Stephan
beim Mcssncrhause sich anfstellte, konnte das ganze
Portale sehen, sah aber wenig von der Fassade ober
ihm. Das Messnerhaus stand etwa da, wo jetzt die
Stcllwagen sich anfstellen. Nirgends in der Stadt
konnte man die Fassade und das Portale zugleich in
vollem Anblick betrachten. Weil man das Ganze nicht
überblicken konnte, vermochte der gotische Baumeister
des XV. Jahrhunderts das romanische Portale zu ver
stümmeln. An eine Fassadcnwirkung hat er schon des
halb nicht gedacht, weil er dann sicher eine ganz
neue gotische Fassade samt großartigem Portale ge
baut hätte. Wenn er sich energisch angesetzt hätte,
würde er auch dazu das Geld erhalten haben, oder
der Ausbau des Turmes wäre ein paar Jahre ver
zögert worden. Das Portale von St. Stephan hat als
selbständiger Bau genug Analogien, sodaß Res. nur
einige zu nennen braucht: Mainz (Dom), Paderborn
lGankirchc), Podoniec, Pölitz, Tischnowitz, Deutsch-
Altcnburg, Tulln; und das von Braisnc; und er er
wähnt den Dom von Agram °) und die Dekanalkirche
von Kuttenberg, weil man unter Umständen selbst
in der gotischen Zeit ganz leicht die Symmetrie und
erst recht „das Gesetz der Fassadcnbildung" opferte.
St. Jakob in Regensburg nennt Res. zuletzt; aber
er könnte auch erwähnen, daß höchst wahrscheinlich
auch das Portal der Schottenkirche zu Wien im XU.
Jahrhunderte ein selbständiger, schottisch-irischer Bau
war mit jenem „Protzenden" Stabwerk in den Archi
volten und Kompartimenten, wie St. Stephan. Das
st Der Vers, streift den Gedanken schon S. 8. Wir halten
an ihm, aber beileibe nicht ans Vorliebe für den romanischen
Stil, sondern aus Schönheitsgründen, weil wir gerade am
Portale keine Ruine dulden wollen.
9 Der Agramer alte gotische Meister hat am Schlüsse des
XIV. Jahrhunderts das dein Jäker ähnliche Portale des
XIII. Jahrhunderts stehen lassen, wie cs war, sein eigenes
Fenster aber nicht in die Axe des Portales gebaut. Es ist
bekannt, daß das romanische Portale in der Spätrenaissanze-
Zeit aus dem alten Materiale, an der alten Stelle wieder-
hcrgestellt worden ist. Mitt. der Zentralkomm. IV. Bd. —
Uber Kuttenberg (St. Jakobskirche) siehe Neuwirth,
Geschichte der bildenden Kunst in Böhmen. S. 502. (Abbildg.
Taf. XXVII.) — Grue be r, Kunst in Böhmen, UI., S-H u. 12.