Full text: Wiener Dombauvereins-Blatt Nr. 8 (3. Serie) 1902 (21.1902,8 (3. Serie))

jetzige Portal von St. Jakob in Regensburg hat, weil 
jünger als Schotten in Wien und St. Stephan, 
dieses „protzende" Wesen aufgegeben : aber die Selbst 
ständigkeit des Baues, die Arkadenstellung hat es doch, 
und zwar nicht in der ruhigen Einfachheit des Wiener 
Portales. -— Wie der Vers., vielleicht gerade durch das 
Regensburger Portal gezwungen, die Richtigkeit des 
Schmidt 'schen Projektes inbezug auf die Bekrönung 
des Portales zugiebt, also die Selbständigkeit dieses 
Baues: will er diesen selbständigen Bau für verpflichtet 
erklären, sich einem viel jüngeren Bau zu unterordncn, 
bloß weil dieser den alten Bau verstümmelt hat, 
und nun in seinem Possessus geschützt werden soll. 
Das heißt, dem alten Portale, das ein älteres Recht 
der. Existenz hat, Unrecht tun: ja der Gedanke führt 
zu einer bösen Konsequenz. Am Ende sollte man das 
Portale noch mehr verstümmeln, dasjenige noch ab- 
haucn, was sich dem Gesammteindruckc der Fassade 
nicht fügen will. Es geht also nach unserer Ansicht 
nicht an, daß das Fassadensenster irgend wie bestimmend 
auf die Form, auf die legitime Form (also mit 
dem Fries und deutschem Bande und erhöhtem Dache) 
des alten Portales zurückwirke. Denn selbst in seinem 
jetzigen Zustande, der Schönheit beraubt, mit einem 
ihm nicht Zugehörendcn behaftet, welches die Reste 
der Schönheit dem Beschauer verhüllt: selbst in diesem 
Zustande begehrt das Riesenthor, eben als selbst 
ständiger — seine alte Schönheit reklamierender — 
Bau am Dome betrachtet zu werden, wie die anderen 
vier Portale, bei denen man ja auch nicht erst um 
das Fenster sich umsteht, ob es richtig oben sich be 
findet. Ein solches Portale, wie das Riescntor, kann, 
wenn es dem Bauherrn paßt, auch an die Langseite 
gestellt werden, siche St. Jakob in Rcgensburg oder 
a n die Fassade, welche eventuell, wenn beide gleich 
zeitig entstehen, mit dem Portale in Wechselwirkung 
steht, aber nicht in der, daß das jüngere das andere 
verstümmelt. Denn das Portale ist doch der untere, 
ältere Theil. In Wien wurde das Verhältnis umge 
kehrt; nun soll, Wenn wenigstens die Bekrönung her 
gestellt wird, eine Harmonie zustande kommen, wie sie 
anderswo herrscht. 
S. 25 srägt sich der Vers., ob sein Auge besangen 
sei (bei der Abschätzung der vier Radfenstcr an der 
Fassade in ihrem Verhältnisse zu dem anzustrebcndcn 
Rundbogentore). Res. möchte dieser Frage nicht ent- 
gcgentreten. Denn es ist ja doch möglich, daß der 
Vers., wenn sein Auge richtig sicht, sich der Erkennt 
nis nicht verschließt, daß, wie das jetzige gotische Tor 
ein recht dunkels Loch bildet, das romanische eine offene, 
dem Lichte zugängliche Halle ist, an deren Wände 
das Licht ungehindert kommen kann, von deren Säulen 
und Archivolten Reflexe ungehindert nach allen Seiten 
ausstrahlcn, fast wie beim Portale der Votivkirche. Ein 
Loch entsteht in dieser breit ausladenden, schön ge 
gliederten Wand, die durch den Vorbau eben nur an 
Gliederung gewinnt, nur dann, wenn einmal die 
hölzerne Türe offen steht und das ist sicher nicht so 
groß, um mit dem Fassadenfenster zu konkurrieren. 
Alles also, was von einem großen Loche der romani 
schen Toröffnung vom Autor angeführt ist, kann nicht 
als begründet erklärt werden. 
Was aber die Nötigung anbelangt, deren Existenz 
(S. 11) geleugnet wird, so ist Vers, eigentlich 
derselben Ansicht, daß weder eine innere (vom 
Projekte ausgehende), noch eine von außen kommende 
Nötigung zur Ausführung des S ch m i d t'schen 
Projektes existiert. — Richtig ist es, wenn der Vers, 
in der Parallelstclle S. 24 einen anderen Ausdruck 
wählt, „versprechen", nur daß dieser für den Res. 
etwas unklar ist. Tatsache ist, daß der Vers, die 
Ausführung des Projektes, auch wenn es richtig 
wäre, als ungerechtfertigt nachzuweisen bemüht ist. — 
Wenn nun eine Nötigung nicht existiert, so kann 
es doch Gründe geben, die dessen Ausführung nicht 
allein wollen, sondern auch fordern. 
So lange das Portale sich in anständigem Zustande 
befand, ruhte die ganze Frage: 20 Jahre lang. Nun 
aber wirklich dasselbe in seiner oberen Partie bau 
fällig ist und diese Gefahr schon selbst bis in das 
Gewölbe vorzudringen droht, erwacht die Frage von 
neuem. Da das Projekt Schmidt's von uns 
nicht als unhaltbar, wohl aber als aus weiteren 
Funden und Studien, die selbst der Broschüre ihre 
Richtung verdanken können, korrigierbar erkannt ist, 
ist der Dombauvercin fast genötigt, auf die künst 
lerische Vollendung der Ruine hin- 
zudrängen, denn zum Auswcchseln der schadhaften 
Steine an der Bekrönung bedarf cs nur eines 
Parliers, nicht eines Künstlers, dessen Bewußtsein sich 
regt, so wie er sich vor eine künstlerisch lösbare 
Arbeit gestellt sieht. Er wird die Arbeit des 
Auswechselns ja thun, wie er sic bisher gcthan 
hat, allein er fühlt sich als Künstler berechtigt, die 
Vollendung des Domes, welche alle Erz 
bischöfe von Wien seit Milde a n ge 
strebt haben, mit seinem Kuustkönnen und nach 
bestem Wissen und künstlerischen, wie archäologischen 
Gewissen wirklich auszuführcn. Die bisherigen Erz 
bischöfe nötigen ihn nicht blos zum Auswechseln 
schadhafter Steine, sondern zur Vollendung des 
Domes, daß er so schön sich repräsentiere, als cs 
mit dem Stile, der in jedem seiner Bau- und 
Einrichtungsteile zum Ausdrucke kommt, sich verträgt. 
Der Willkür etwa eines Neugotikers, der völlig neu 
Erfundenes an die Stelle eines berechtigten alten 
Stückes setzen wollte, setzt sein eigenes, ich möchte 
sagen, antiquarisches Bewußtsein, ja die öffentliche 
Stimme ein scharfes Veto entgegen. Vom Dombau 
vereine aus sieht sich die Sache so an: wäre das 
Portale von St. Stephan, wie die Zopfaltäre im 
Inneren, ein mindestens anständiger, die Kunst des 
XVII. und XVIII. Jahrhundertes repräsentierender 
Bau, so würden sowohl die Dombaumcister, als auch 
der Dombauverein es als ihre Pflicht erkannt 
haben, einfach die Erhaltung in statu quo, nur mit 
Auswechslung schadhafter Steine durchzuführen; oft 
genug hat der Dombaumcister und der Res. diesen 
Standpunkt in offizieller Weise betont. Beide haben oft 
die schützende Hand über ziemlich „ländliche" Zopf 
altäre gelegt, welche aus Vorliebe für den „echt 
kirchlichen gotischen" Stil einer modernen Tischler-Gotik 
den Platz räumen sollten. Unser Fall ist ein anderer, 
als der des Domportales von Metz, wo man ein
	        
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