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befindlichen Altäre und historischen Denkmale in ihrer
Eigentümlichkeit zu erhalten und zu restaurieren, be
ziehungsweise in ihren ursprünglichen Zustand zurück-
zuvcrsetzen; denn in dem Dome zn St. Stephan und
seinen Denkmälern am Äußern und im Innern
spiegelt sich die Kulturgeschichte des ganzen Reiches
ab, und es ist undenkbar, aus diesem gewaltigen Buche
der Geschichte ein Blatt zu entfernen, ohne den Sinn
und Zusammenhang des Ganzen zu stören.
Als das vom Kardinal Kutschker eingesetzte
Komitee dieser Anschauung beigetreten war, wurde
der Z 1 der Statuten also formuliert:
Der Wiener Dombauverein hat zum Zweck, die
Restauration der Metropölitankirche zu St. Stephan
>u Wien an ihren inneren Teilen zu vollenden und
deren Ausschmückung mit allen Mitteln der Kunst
und Kunsttechnik durchzuführen Nachdem der ganze
Ätatutenentwurf die Genehmigung der am 20. Ok
tober 1880 zur Gründung des Wiener Dombau
vereines versammelten 82 Herren erhalten hatte,
wurde derselbe mit Erlaß der hohen k. k. u. ö. Statt
halterei vom 25. Oktober 1880, Z. 39.720, zur
Kenninis genommen mit dem Beifügen, daß sie sich
tu Vertretung des l. f. Patronates die Jntervenierung
bei der Kollaudierung der ausgeführten Restaurations-
Arbeiten vorbehält.
In der konstituierenden Versammlung am 17. No
vember wurden 20 Herren in den Ausschuß gewählt,
von denen noch 6 heute im Vereine tätig sind,
während die Übrigen bereits das Zeitliche gesegnet
haben ')- Der Wiener Dombauvcrein feiert somit jetzt
winen 25jährigen Bestand und beschloß, diesen Tag
Wstlich zu begehen und das Interesse für dieses alt-
ehrwürdige kirchliche Baudenkmal in weiteren Kreisen
Hu beleben. Ich begrüße daher die heute hier er
schienenen Festgäste auf das herzlichste und spreche
"blon für ihr Erscheinen den innigsten Dank aus.
Prof. Dr. Wilhelm Neumann wird in kurzen
ÜMrissen die ältere und neuere Restaurierungstätigkeit
"w Dome vor Augen führen, aus denen Jedermann
^nehmen wird, daß das frühere Baukomitee und der
wiener Dombauverein die Hände nicht in den Schovß
b^ogt, sondern nach Kräften die Restaurierungen des
Zornes gefördert haben. Der Wiener Dombauverein
AK während seines 25jährigen Bestandes 1,188.944 L
^ b gesammelt und auch für die Restaurierung ver
ausgabt.
Mir obliegt es, einen kurzen Überblick über die
wrschiedenen Banperioden des Domes zu geben,
uls Einleitung zu der folgenden Rede.
Während bei den neueren kirchlichen Bauten, die
einem oder zwei Menschenaltern vollendet worden
rn
sind
. -em einheitlicher Baustil zutage tritt, hat
Stephansdom im Laufe der Jahrhunderte mehr-
uche Wandlungen erfahren, so daß wir mehrere Bau-
unterscheiden können. Unser Dom gleicht einem
reise, der trotz seines hohen Alters und seiner
andlungen noch viele Spuren seiner Jugendzeit an
^ fehlen uns leider über den ältesten
llchenbau von St. Stephan aus der ersten Hälfte
17 Dombauvereinsblatt, VI. Jahrg. Rr. 40 u. 41,
März 1886. ^
des 12. Jahrhunderts urkundliche Nachrichten und
schriftliche Aufzeichnungen. Nach den historischen
Notizen des Herrn Prof. Dr. Wilhelm Neumann
mag ein kleines Holzkirchlein, wie fast alle Kirchen
Österreichs zu Zeiten des hl Altmann von Göttweig,
schon früh nicht weit von der Ostmauer der alten
Vindobona gestanden haben, ohne alle Seelsorge, für
die Kaufleute errichtet, die hieher ihre Waren brachten
und weiter ihres Weges zogen. Die Sachlage änderte
sich, als die Babenbergerfürsten in die Nähe von
Wien, auf den Kahlenberg und nach Neuburg, ihre
Residenz verlegten, als Leopold der Heilige das Stift
Klosterneuburg neben seiner Burg erbaute und 1135
Heiligenkreuz gründete. Besonders wichtig ist die
Gründung von Klosterneuburg. Der dem Herzog von
Bayern untergeordnete Markgraf erkannte schon jenes
Bedürfnis, welches unter seinen Nachfolgern immer
deutlicher und ernstlicher hervortrat, und fühlte sich
mächtig genug, neben seiner Burg ein Kapitel als
geistlichen Mittelpunkt zu besitzen, das, wenn
schon keinen Bischof, doch einen Propst an der Spitze
hatte und dem Sprengel tüchtige Seelsorger lieferte.
Der bayerische Herzog hatte in seiner Residenz in
Regensburg einen für sein Land hochbedeutenden
Bischofssitz und ein schottisches Benediktinerstift. Aus
diesem Stifte holte sich der Sohn des hl. Leopold,
Heinrich Jasvmirgott, der eben selber Herzog von
Bayern wurde und darauf den Titel eines Herzogs
von Österreich erhielt, schottische Benediktiner neben
seine Burg, die er in Wien baute.
Unter ihm beginnt erst die Geschichte des mächtig
ausblühenden Wiens und ward jene e r st e steinerne
Kirche St. Stephan eingeweiht, welche vielleicht schon
Leopold IV. an Stelle einer alten Kapelle gegründet
hatte. Diese Kirche, wahrscheinlich eine Basilika, ohne
Querschiff mit flacher Holzdecke oder mit sichtbarem
Dachgespärre, wurde 1147 durch den Passauer Bischof
Reginhard eingeweiht, welcher die Donaustraßc hinab
gezogen war, um in das hl. Land zu pilgern. Wien
gehörte damals zur Diözese Passau. Tatsache ist, daß
Herzog Heinrich St. Stephan zur Pfarre erheben
ließ und daß bedeutende Männer des Domkapitels
Passau oder Protonotarc des Hofes die Pfarre er
hielten.
Wie viel von diesem ältesten Baue erhalten ist,
ist schwer zu sagen. Der Vergleich der ältesten Teile
des heutigen Doms mit anderen kirchlichen Baudenk
malen Österreichs, welche notorisch dem 12. und dem
Beginne des 13. Jahrhunderts angehörcn, stellt es
außer Frage, daß von der 1147 geweihten Kirche
von St Stephan, welche noch der frühromanischen
Kunstcpoche angehört haben mußte, nichts mehr
besteht. Es ist somit die im 12. Jahrhunderte erbaute
Kirche bis auf ihre letzte Spur verschwunden. Die
ältesten Teile des jetzigen Domes, und zwar die
mittlere Partie an der Westseite, d. i. die Mitte der
Fassade mit den beiden die Türme tragenden Flügeln,
die Vorhalle mit dem Riesentore und dem Orgelchor
bis zur Gesimshöhe, zeigen die Bauformen spät
romanischer Zeit und dürften nicht früher anzusetzen
sein, als Leopold VI., welcher 1207 mit dem An
suchen an den hl. Stuhl herantrat, Wien zu einem
Bischofssitze zu erheben. Der Abt von den Schotten