Full text: Wiener Dombauvereins-Blatt Nr. 21 (3. Serie) 1905 (24.1905,21 (3. Serie))

der fort und fort auf seine Leistungsfähigkeit unter 
sucht werden muß, errichtet worden ist. Die Brände 
der Stadt, die im XII!. Jahrhunderte so arg am 
Dome hausten, waren in ihren Wirkungen noch 1884 
erkennbar. Auch die Erdbeben haben den Dom ge 
schädigt, besonders das vom Jahre 1590 (im Sep 
tember sich öfter wiederholende), durch das die Turm 
spitze abgebogen wurde; Phialen mußten abgenommen 
und durch neue ersetzt werden. 
Das Wiener Baumateriale ist im ganzen 
gut, aber sehr ungleich in der Wettcrbeständigkeit. Wir 
freilich verwenden jetzt das beste Material, das zu 
haben ist, nicht aber geschah dies beispielsweise im 
XIV. Jahrhunderte beim Baue des Chores. Der 
Lorettostein, dcr damals verwendet wurde, war sicher 
nicht wetterbeständig genug, um 500 Jahre anszu- 
halten. Manche Steingattungen, deren Schichten 
senkrecht gestellt wurden, sind abgeblättert, wie wir 
solche Zerstörungen in Skulpturen der Südostcckc des 
Baues sehen können. Manche Steine scheinen außen 
intakt; aber unter der krätzigen Oberfläche greift die Ver 
witterung den Kern an, macht ihn mürbe, mehlig. Solche 
von weitem gesund scheinende Quadern müssen heraus 
gestemmt und durch gesundes Material ersetzt werden. 
Auch die Nachlässigkeit beim Baue 
selbst, die Sorglosigkeit der Konstrukzion, wie sie der 
Dombaumeister Ernst in einer Eingabe vom 7. April 
1859 konstatiert hat, nötigte ihn und seine Nachfolger 
zur Restauration, die nur allzu oft zur Rekonstrukzion 
werden mußte, sollten die Bauglieder und mit ihnen 
der Bau selbst erhalten bleiben. Die Einzelheiten 
würden mich zu weit führen. Sie können dieselben im 
Dombanblatte aufgezählt finden. Ich will nur au- 
führcn, Was ich vom Dombaumeister Schmidt selbst 
gehört habe, „er würde es nie wagen, so sorglos zu 
bauen, wie jener Meister, der ganz ohne Bedenken 
seine Turmschichten in die alten Bauteile des Chor 
baues eingebunden habe". Ungleiche Setzungen im 
Langhause schädigten daher den Bau und wurden erst 
1882 gut gemacht. Unglaublich leichtsinnig waren die 
Pfeiler des Langhauses errichtet; die Eiscuringe, die 
die Quadern binden sollten, lagen im Innern frei. 
Das Eisen wuchs, da es verwitterte, und sprengte die 
Pfeiler. Die den Beter bedrohenden Sprengungen — 
Stücke von 47 am Tiefe und noch bedeutenderer Länge 
drohten herabzufallen — wurden erst von Schmidt 
durch neue, gesundere Steine ersetzt und ein gauz 
anderes System der Bindung angewendet. 
Die Sorglosigkeit dcr langen Jahrhunderte trug 
ebenfalls viel zur Zerstörung bei. Nur den Einsturz 
des Turmes, der der Umgebung gefährlich war, suchte 
Man zu verhüten. An den Wänden aber flickte man 
und behalf sich im Sinne auch der modernsten Denk 
malpflege. Man änderte und erneuerte — aus Spar 
samkeit, nicht aus Pietät — so wenig als nur mög 
lich. Als die Schäden zu klaffend wurden, verstopfte 
uian die Risse, übertünchte die Schäden, um sie nicht 
M sehen und überließ den kommenden Generationen 
die gründliche Ausbesserung. — Das XIX. Jahrhundert 
hatte die Pflicht, den Dom gründlich herzustellcn : bei 
spielsweise baute es dreimal den Stephanstnrm auf. 
Eine andere Gelegenheit, die feinen Gliederungen 
des Baues im Innern zu schädigen, sei es durch Auf 
trägen von Tünche, sei es durch Herabschlageu des 
Zierratwerkes, ist, wie ich glaube, erst im XIX. Jahr 
hunderte gründlich beseitigt worden: ich meine das 
handwerksmäßige Ubertünchen und das Abstauben 
mittels Fuchsschwänzen oder Tüchern, die an hohen 
Stangen befestigt waren, und mit denen man nur 
erreichte, daß der Staub aufflog und anderswo sich 
niederließ und daß gelegentlich eine Knorrc oder ein 
Blatt herabgeschlagen oder herabgerissen wurde. 
Überblicken wir das Ganze, so zeigt es sich, daß 
man anr Turme, wie sonst am Bau, doch nur ziemlich 
unverstandenes Flickwerk schuf, oder Überkleisterung der 
Schäden, und daß man, seit der Dom beendet war, 
bis ins XIX. Jahrhundert ihn wohl für ein groß 
artiges Werk in seiner Art hielt, aber überzeugt war, 
man könne im Einzelnen besseres schaffen, als jene Jahr 
hunderte altväterischer Geschmacksrichtung. Die Innen 
einrichtung vollends verwarf man gänzlich, weil der 
neue Stil viel schöner sei, so wie die Gotiker aus der 
ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts die Werke der 
Barocke nicht würdigen mochten. Flickwerk und Stück 
werk, so ging es mit der Restauration zu, vom XIII. 
bis ins XIX. Jahrhundert. 
Nicht eigentlich Restaurierung, sondern simples Ver 
stecken vorhandener Schäden war cs, wenn vielleicht 
noch im XIII. Jahrhunderte, nach den Bränden von 
1276, die Ornamente der Leibungen am romanischen 
Portale vollends abgeschlagen und die Wunden mit 
Kalk verkleistert wurden. Nicht Restaurierung, aber 
Mißachtung des romanischen Stiles war es, wenn 
der Vorbau des romanischen Portals oben von einem 
Gotiker verstümmelt und unten ein gotisches Tor 
vor die romanische Halle gesetzt wurde. 
Zum erstcumalc tritt das Wort Renovierung im 
Jahre 1459 in den Akten der Wiener theologischen 
Fakultät auf: In cksulbutionk ue rsriovationö 
IHIssiuö. Es handelt sich also um die Tünchung der 
Kirche, die mit einer Renovierung des Chores zu 
sammenhing, denn die Einwölbung des Langhauses 
war erst vor wenigen Jahren beendet worden. Aber 
gelegentlich der Renovierung des Chores gingen, wie 
dies auch bei anderen Renovierungen zu geschehen 
pflegt, geschichtlich wertvolle Epitaphien zugrunde: sie 
verschwanden, weil man sie renovieren wollte, aber sie 
wurden zu Tode renoviert, d. h. sie gingen verloren. 
Überhaupt waren die Epitaphien schon damals vogel 
frei, hier wie anderwärts. In den Wirren dcr pro 
testantischen Zeit beeilten sich protestantische Bürger, 
die Epitaphien ihrer Angehörigen aus der Mauer von 
St. Stephan auszubrechen und in ihren Hauseingüngen 
in das Fußbodenpflaster anzubringen. Erst Schmidt 
und Hermann ließen den Epitaphien ihre volle 
Obsorge angedeihen. 
1449 brannte der Turm vollends aus, auch im 
Jahre 1514; dcr Turmhelm wurde abgetragen. Die 
Arbeit war erst 1519 fertig. M. Grcgori H anse r 
wendet zuerst das für solche Zwecke höchst unbrauch 
bare Eisen zur Festigung des Turmhelmes an. Die 
Türkcnbclagerungeu von 1529 und 1683 machten 
eine vier Jahre dauernde Reparatur des Turmes und 
des südlichen Seitenschiffes notwendig. Wieder wurde 
viel Eisen verwendet, das mit Ölkitt, Gips und 
Mörtel eingebunden wurde. So kam es, daß E r n st
	        
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