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und Schmidt hier zu Renovierungsarbeiten ge
zwungen waren, gefährlicher und kühner, als viele
Neubauten.
Die Klammern von den Sicherungsarbeiten des
Gewölbes von 1574 habe ich persönlich noch gesehen,
oben auf dem Gewölbe ober dem Bischosstore. Als
man die damals größte Glocke 1579 im Adlerturm
aushing, mußte man das Gewölbe durchbrechen, das
in ungemein sorgloser Weise für das Auge wieder
hergestellt wurde. Das Erdbeben von 1590 sei hier
wegen der notwendigen Reparaturen am Turmhelm,
und wegen der Restaurierungsarbeitcn, die sicher im
Jahre 1597 noch im Gange waren, erwähnt. Denn
dieses Jahresdatum erschien in ein Paar unter
Schmidt reparierten Baldachiuwänden. Sicher ist
1596 das Primglöckleintor, 1598 der Hochturm in
Reparatur. (Strafgelder der Städte Krems und Stein.)
>636 dürfte das zweite (seit 1459) Anweißen der
gesamten Wände begonnen haben: ein Name Lucas
Wo lauf mit dieser Jahreszahl war unter der
großen Orgelempore in Weißkalk auf den Anwurf
geschrieben. Ich habe ihn noch gesehen. Aber der
Ausdruck „Anweißen" ist nicht wörtlich zu nehmen.
1627 ist nämlich das Jahr, daß die schwarze
Patina, aus Kalk und Kienruß gemengt, an die Wände
der Kirche und an die Pfeiler aufgetragen wurde,
um die Kirche altehrwürdig zu machen und die
Schäden zu decken. Dafür wurden in jener Zeit die
farbigen Fenster durch Weiße Tafeln ersetzt. Aber die
Klagen über den schlechten Bauzustand mehrten sich
1644, ich weiß nicht, wie sie zum Schweigen gebracht
wurden. Vielleicht hat gerade eine Untersuchnugs-
kommissivn bewirkt, daß nichts als eine Ausbesserung
in einem Eckpfeiler geschah. (Perger, S. 19.) Das freilich
weiß ich, daß 1647 und 1662 Bauveränderungcn
im Innern der Hcrzogenkapelle und 1657 an der Tirna-
kapelle und andere Umgestaltungen stattfanden.
Überhaupt war die Regierungszeit des Bischofs
Grafen Brenner 1639—1669 damit ausgefüllt,
dasjenige im Stile der Barocke auszuführcn, was
später Erzbischof Milde und Dombaumeister Ernst
zugunsten der Gotik ins Werk setzen wollten, nämlich
die Einrichtung des Innern in einheitlichem Stile.
Nur gelang dein Grafen Brenner sein Werk: er
führte die Barocke als ausschließlichen, damals modernen
Stil, der mehr als hundert Jahre herrschend blieb,
in die Kirche und machte den gotischen Altären
und Geräten ein vorläufiges Ende, das XVl!!. Jahr
hundert setzte die Arbeit fort und schloß sie ab. Das
Gemach links oben auf der Empore erhielt einen
Rauchfang 1688. Das Hineinschaffen der großen
Josefinischen Glocke in die Kirche 1711 (die Glocken
inschrift hat NV60XI) dürste die Schuld sei», daß
man das Türgewände am Haupttore einriß, dieses
dann mit Eisenklammern notdürftig sestgemacht wurde;
kein Tor des Domes war breit genug, um die Glocke
einzulasse». Diese große Glocke arbeitete seit 171!
zugleich mit den Stürmen an der Lockerung des Bau
gefüges am hohen Turme, so daß endlich kaum ein
Stein desselben festsaß.
Die Beschädigungen des Domes durch die Franzosen
1809 (Beschießung der Stadt) waren neuer Anstoß
zu Restaurationen, zunächst am Singertor, durch den
Hofarchitekteu Johann Amman, mit sogenannter
Gotik, einer Bauform, welche hier erst 1895 kunst
gerechter Gotik Platz machte (Dombauvereins-Blatt II,
134). Auch an den Turm wagte sich Johann
Amman 1810 (Inschrift bei Pcrge r, S. 108>;
das War die erste Erneuerung des Helmes im
XIX. Jahrhundert. Natürlich wendet auch er das
Eisen an: er verwendet eine 2500 Pfd. schwere und
63' — 20 m lange Helmstange und umfängt die
Turmspitze mit Eisenreifen, die er festschraubt (Donin,
S. 53). Im Dome selbst nimmt man bei der Neu
pflasterung alte Grabplatten weg und verkauft sie
(Dombauvereins-Blatt I, 83). Die Gewölbe melden
in unliebsamer Weise ihre Schadhaftigkeit an. 1820,
am 22. Jänner, fällt ein Stein herab, „ganz in der
Nähe der hohen Geistlichkeit". Die Z i v i l b a u-
direktiou, die die Arbeit leitete, scheint sehr
nachlässig gearbeitet zu haben. Der Kirchenpropst
beklagt sich bitter über sie. — 1824 fiel die Galerie,
die auf der Fassade sich befindet, herab. Die Landes
regierung glaubt durch einen Befehl, betreffend die
Beschleunigung der Berichterstattung über die Ban
gebrechen, irgend etwas getan zu haben.
Ammans Eisenkonstruktion am Turmhelm wurde
immer gefahrdrohender. Die Spitze wich 3' 14//' ^
fast 1 ra von der Lotrechten ab, wenn sie in Schwin
gungen geriet. Steine fielen herab 1838. 1839 wurde
die Spitze abgetragen. Eine neue E i s e n konstruktion
mit Manerwcrk verdeckt, 62' — I9 60 m hoch, war
1842 beendet. Erzbischof Milde hielt am 20. Ok
tober j. I. die Festrede. Das war sicher der Höhe
punkt bureaukratischer Kunstübung.
Der gotische Stil hatte sich in dieser Spitze bewährt:
so war man überzeugt. Die Romantik feierte ihren
ersten Triumph und sie blieb lange Dezennien die
Herrscherin am Dome, leider aber auch fast überall im
Lande, ja im Reiche bis an die Elbe und Drau und
Sava, den Oberrhein bis an den Inn, wo sie auch
jetzt ganz besonders blüht. Ihr ist die Gotik der allein
kirchliche Baustil und alles, was nicht gotisch ist, muß
ans der Kirche hinaus. In Wien forderte die Romantik
1. den Ausbau der unfertigen Dachgiebel des Domes,
2. die Umgestaltung der Fassade in gotischem Stile,
3. der Ausbau des zweiten Turmes. Nur das erste
Petitum ist in Erfüllung gegangen Die Bewegung
im Sinne der Gotik begann 1852 mit einer begeisterten
Rede des Grafen O'D o n e l l, der die stilvolle Aus-
g e st a l t u n g des Domes forderte. Der Gemeinderat
der Stadt Wien gab noch im selben Jahre dem Rufe
nach. Der talentvolle Gotiker Leopold Ernst brachte
1854 die Südgiebel und ihre architektonische Zier
fertig; die in der gleichen Höhe stehenden Giebel des
Hochturmcs dienten ihm als Vorbild. 1856 waren auch
die nördlichen Giebel fertig. (Gemeinderatsbeschluß vom
15. Juni 1855. — DombauvereiuSblatt!, 63.)
(Schluß folgt.)
HerauSgegebcn vom Wiener Dombouvereine.
Redakteur: Pros. Dr. Wilhelm A. Neumonn.
Kanzlei des Vereines: Stadt, fürsterzdischäflicheS Palais.
Druckerei eer l. Wiener Zeitung.