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Full text: Wiener Dombauvereins-Blatt Nr. 22 (3. Serie) 1906 (25.1906,22 (3. Serie))

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kapelle renoviert, ein Hängcgerüste zur Dachgalerie der 
Bartolomäuskapelle angelegt und im November der 
linke Flügel der Westfassade von der Eingerüstung be 
freit. Schon schien der Zeitpunkt der Ausschmückung 
der restaurierten Kirche nahegerückt: der edle, für 
alle Künstlerstrebung, wie humanitäres Wirken be 
geisterte Nik. Dumba schenkte Statuen für die süd 
westliche Ecke des hohen Turmes. Aber die Erwartung 
wurde getäuscht. Denn es mußte die Dachgalerie der 
Schatzkammerkapelle aus Sicherheitsgründen abgetragen 
werden. Die Ursache war der tückische Zement. — 
1899 waren die Maßwerke und Pfosten der Chor 
fenster neben dem Hochaltar fertig. An der Haupt 
fassade waren in diesem Jahre die beiden Eckstrebe 
pfeiler, das Hauptgesimse, die Dachgalcrie und An 
schlußpartie des südlichen Heidenturmes fertigrestauriert. 
Wichtig ist die 1900 vollzogene Adaptierung der 
ehemaligen Schatzkammer (neben dem Hochaltar) eines 
gotisch eingeschossigen Gewölbsraumes als Winterchor 
für die Domkapitularen, weil hiemit ein Teil der 
alten Regensburger-Bauidee wieder aufgefrischt wurde. 
1901 war die Restaurierung des nördlichen Heiden 
turmes beendet und wurde die des südlichen aus 
genommen. Noch im Oktober war der rechtsseitige 
Flügel der Fassade neuhergestellt: die Sockelgliederungen, 
die Kapitale der Lisenen, Arkadenfriese, die Rundfenster. 
Die Eingerüstung der Mitielpartie der Westfassade 
begann. — Aber auch der Streit um das alte 
Schmidt'sche Projekt begann von neuem und wurde vom 
Ministerium selbst gegen die Ansicht des Kardinals 
Erzbischof Gruscha in ablehnendem Sinne beigelegt. 
— Die Notwendigkeit, an der Tirnakapelle die mit 
Zement eingefügten, nunmehr zerissenen Zierstücke 
auszuwechseln, besteht bis ins Baujahr 1904; die 
Tirnakapelle ist an der Nordfront nunmehr in alter 
Schönheit sichtbar, die Schatzkammer über ihr ist der 
Besichtigung und Andacht zugänglich. Die Gerüste 
wandern, wie einst im Innern, so nun am Äußern in 
östlicher Richtung vorwärts; schon ziehen sie sich an 
den Streben der Nordwand hin. Es handelt sich 
darum, an der Nordwand dasjenige auszuwechseln, 
was den Nordstürmen voraussichtlich nicht auf die 
Länge der Zeit widerstehen kann. 
Es war ein mühevolles Stück Arbeit, welche unser 
Verein durch seine Dombaumeister Schmidt und Her 
mann im Laufe von 25 Jahren vollbracht hat. Man 
kann säst sagen, daß die beiden Meister bis auf wenige 
Partien von Mauerstücken, Gewölben und Zierstücken 
den ganzen baulichen Bestand des Domes und seinen 
Türmen mit gediegenem Steinmaterial hergestellt 
haben. Immer nur wenige Jahre sind die neu ein 
gesetzten Stücke durch ihre lichte Farbe erkennbar ge 
blieben. Schnell genug hat der Wiener Steinkohlenrauch 
und der Staub dir neuen Stücke mit den alten ega 
lisiert. Auch an den Altären und Bildwerken, den 
Epitaphien innen und außen hat der Verein seine echt 
konservatorische Tätigkeit bewährt, kein Blatt der 
wahren Kunstgeschichte im Dome getilgt. 
Nur ein Teil des Ideals eines Erzbischofs Milde 
und Kardinals Rauscher und ihrer Nachfolger ist aus 
geführt worden: die bauliche Sicherung des 
Domes nach den Plänen seiner Erbauer. Anderes hat 
schon Milde selbst fallen gelassen: die Umgestaltung 
der Fassade im gotischen Sinne. Wieder einen anderen ^ 
Teil des Milde-Ernst'schen Programmes hat der 
Dombauvercin, da die Zeit der Romantik vollends 
vorüber gegangen ist, nicht ausgeführt: das Ersetzen 
der Barockaltäre durch stilgerecht gotische Neu 
schöpsungen. 
Als Erbe des Meisters Friedrich Schmidt exi 
stiert in der Dombauhütte ein prachtvoller Aufriß, wie 
er sich den jetzigen Halbturm ausgebaut dachtees 
existieren die Zeichnungen und Pläne Schmidts 
und Hermanns für die Eröffnung des Riesentors, 
es existiert noch Schmidts Idee, daß am hohen 
Triumphbogen, über dem Eingänge zum Hauptchor 
ein großes farbiges Bild, etwa Mosaik, darstellend 
das jüngste Gericht, wie beim Ulmer Dome prangen 
sollte. Schmidts Gedanke an eine sehr bescheidene, 
durchaus nicht aufdringliche Polychromie des Domes 
verdient allerdings die Beachtung, wenn einmal die 
bauliche Sicherung und die Renovierung schadhafter 
Werke am Dome vollendet ist. Besonders wichtig aber 
ist die Idee Schmidts, es müsse, und zwar recht 
bald, der hölzerne Dachstuhl des Domes — ein ganzer 
Wald (siehe oben S. 15) — durch einen eisernen 
ersetzt werden, denn die Stadt wäre verloren, wenn 
einmal, vom Winde verstärkt, Flammen das Dachwerl 
von St. Stephan verzehrten. Das, wie die Pietät 
für die am Dome vertretene Kunst, ist das Erbe 
Schmidts für den Dombauverein. 
Nicht Allen mag jede dieser Ideen gefallen: 
Schmidt hat die neueste Phase der Denkmalspflege 
nicht erlebt. Er würde auch kaum unbedingt Alles 
unterschrieben haben, wie denn der Geistliche auch 
des XX. Jahrhunderts nur schwer den Spruch beiseite 
schieben mag: „Domine, ciilsxi üeoorem ckorrms 
Duas." „Herr, ich liebe es, Dein Haus auszuschmücken." 
(Psalm 25 jVulg.j 8.) Gewiß ist der für seine kirchliche 
Kunst begeisterte Geistliche der Überzeugung, daß 
die kirchlichen Kunstwerke nicht bloß für Kunstgelehrte 
und Antiquare geschaffen sind, sondern daß die kirch 
liche Kunst zuerst die gläubige Gemeinde er 
bauen und erheben soll. Mit bloßem Erhalten des 
Bestehenden gibt sich bis heutzutage das gläubige Volk 
und seine Geistlichkeit nicht zufrieden, hört nur allzu oft 
im Übereifer nicht auf die Mahnungen und Winke der 
Konservatoren. Schmidt dürfte das richtige Maß 
des Konservatismus innegehalten haben, selbst in der 
Riesentorfrage: Erhalten was immer des Erhaltens 
würdig ist, aber auch zur Geltung bringen dasjenige, was 
unverdientermaßen Jahrhunderte lang vernachlässigt 
war. Was an der wunderschönen Kanzel neuhergestellt 
wurde, ganz nach den vorhandenen Bruchstücken und 
Analogien am Werke selbst, kann doch nicht als 
„Fälschung" erklärt werden, bloß um für die alten Stücke 
in ihrem damaligen ruinenhaften Erhaltungszustände 
zu plädieren. Da sähe die Kanzel, das vielbewunderte 
Meisterwerk, wie eine Sammlung von gebrochenen 
Pfeilern und Statuen aus und diente dem Dome nicht 
gerade zur Ehre. 
(Schluß folgt.) 
Heran»,e»eben vom Wiener Dombauveretne. 
Redakteur: Pros. Dr. Wttdeln, A. Nenmonn. 
Äanjlei des Vereines: Stadt, fürsterzbischöfiicheS Palais. 
Druckerei der k. Wiener Zeitung.
	        
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